„Alles hängt von den Daten ab“

„Alles hängt von den Daten ab“

Interview mit Markus Hettig, Vice President Building Business DACH bei Schneider Electric.

„Durch die Verwendung nicht-linearer Verbraucher häuften sich Oberwellen in elektrischen Anlagen.“ Markus Hettig, Vice President Building Business DACH (Bild: Schneider Electric GmbH)

Herr Hettig, warum ist es für Anlagenbetrieber gerade jetzt wichtig, die Netzqualität zu überwachen?

Markus Hettig: Durch die Fortschritte beim Thema Energieeffizienz gibt es derzeit in Deutschland das Bestreben, energiefreundliche Verbraucher zu installieren. Ein Beispiel ist das Verbot von Halogenlampen und deren Ersatz durch LED-Leuchten. Allerdings handelt es sich bei LED-Leuchten um nicht-lineare Verbraucher. Auch ein elektronischer Frequenzumrichter, mit dem ich eine klassische Stern-Dreieck-Schaltung ersetze, ist nicht-linear. Diese nicht-linearen Lasten aufsummiert, ergeben eine sogenannte Multiplikation. Dies bedeutet: Oberschwingungen, die von verschiedenen nicht-linearen Verbrauchern produziert werden, können sich unter Umständen durch Überlagerung verstärken. Dabei kann es zu Störungen innerhalb einer elektrischen Anlage kommen. Dies kann sich in einem Anlagenausfall oder einem ungewollten Schaltvorgang manifestieren. Je mehr wir also die Energieeffizienz fördern, desto mehr ungewollte elektrotechnische Phänomene können in den Anlagen auftreten. Da wir an einem Netzwerk, sprich der Energieversorgung angekoppelt sind, können diese nicht-linearen Lasten auch das Gebäude verlassen.

Welche Konsequenzen kann dies nach sich ziehen?

Hettig: Angenommen Sie wohnen in einem Haus in der Nähe eines kleinen Industriebetriebs, dann kann es sein, dass dieser Industriebetrieb eine Netzverschmutzung in mein Haus importiert. Dies erfahre ich aber nur, wenn ich bestimmte Parameter messtechnisch erfasse. Auch eine haustechnische Anlage kann Oberwellen absondern. Auch dies kann ich nur mit der entsprechenden Messtechnik feststellen. Also gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich verwende einen Leistungsschalter wie den Masterpact MTZ, ein digitales Modul zur Oberwellenanalyse sowie ein Kommunikationsmodul, mit dem die Daten in eine übergeordnete Cloud weitergegeben werden können. Wenn ich mir diese Daten nach einer gewissen Zeit anschaue, detektiere ich vielleicht permanente Oberwellen und kann entsprechende Maßnahmen zu deren Beseitigung einleiten. Eine zweite Möglichkeit ist, meine bestehende Anlage einfach mit einem Messgerät nachzurüsten, das bis zur 42. oder 50. Oberwelle misst. Wenn ich eine größere und komplexere Anlage habe, dann empfehle ich unser PowerLogic ION9000. Dies ist ein hochwertiges Netzqualitätsmessgerät mit 365-Tage-Tracking-Funktion, bei dem ich bestimmte Regeln für Benachrichtigungen hinterlegen und mit dem ich viele unterschiedliche Use Cases abdecken kann. In Wohn- oder gewerblich genutzten Gebäuden sowie kleineren Fabriken reicht ein einfacheres Messgerät wie das PowerLogic ION5000, das auch eine Oberwellenanalyse bietet.

In Kürze wird der ‚kleine‘ Masterpact MTZ 1 auf den Markt kommen. Ist damit die Hardwareentwicklung der Serie abgeschlossen?

Hettig: Ja.

Wird es dann eventuelle Weiterentwicklungen ausschließlich im Bereich der digitalen Module geben?

Hettig: Aus der Vergangenheit haben wir gelernt, dass eine solche Leistungsschaltergeneration mit Blick auf das mechanische Konzept circa 15 bis 20 Jahre lebt. Das mechanische Konzept schließen wir nun mit dem MTZ 1 ab – wir haben dann also den MTZ 1, 2 und 3, die drei Baugrößen decken den Leistungsbereich von 630 bis 6300A ab. Durch unsere neuen elektronischen Auslöseeinheiten – die Micrologic X – , haben wir die Möglichkeit geschaffen, Funktionen durch Software nachzurüsten. Dies erfolgt dann mittels der digitalen Module. Wir werden uns jetzt darauf fokussieren, die digitalen Module weiterzuentwickeln, zu schauen, welche Use Cases existieren und wo die Kundenbedürfnisse liegen. Insofern kann man davon ausgehen, dass wir die nächsten 15 bis 20 Jahre mit der heutigen Mechanik leben werden, die Elektronik und die Software aber sukzessive an die Kundenanforderungen angepasst werden wird.

Ist dabei angedacht, beispielsweise auch branchenspezifische Module zu entwickeln?

Hettig: Das ist eine gute Frage. Letztendlich hängen wir bei diesen Entwicklungen sehr stark von den uns zu Verfügung stehenden Daten ab. Wir benötigen also Daten aus den Anwendungen unserer Kunden, um Softwaretools für bestimmte Use Cases zu entwickeln. Treten beispielsweise in der Prozessindustrie bei 25 Kunden immer dieselben Phänomene auf, wäre es gut, wenn für den Masterpact MTZ ein spezielles Digitales Modul für die Prozessindustrie existierte, das etwa die drei für diese Branche wichtigsten Funktionen bündelt. Solche Entwicklungen sind sicherlich denkbar, aber Stand heute nicht planbar, da wir die entsprechenden Daten nicht haben. Wir sind also darauf angewiesen, in Kenntnis bestimmter Daten in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden solche Module miteinander zu entwickeln und damit auch dem Schaltanlagenbau neue Möglichkeiten zu bieten.

Bei allen kommunikativen Möglichkeiten, die EcoStruxure im Allgemeinen und der MTZ im Besonderen bieten: Wie schafft es Schneider Electric, den Markt davon zu überzeugen, diese Möglichkeiten auch zu nutzen?

Hettig: Einmal, indem wir den Endkunden und den Projektentwickler darüber informieren, welche Möglichkeiten heute bereits am Markt existieren. Wenn diese Kundengruppen überzeugt sind und sie sehen den Mehrwert solcher Lösungen, werden sie diese auch vom Schaltanlagenbauer einfordern. Parallel dazu müssen wir den Schaltanlagenbauern diese Lösungen vorstellen, so dass, wenn von ihm von Kundenseite eingefordert werden, der Schaltanlagenbauer in der Lage ist, diese zeitnah zu liefern. Wir sollten also vermeiden, dass der Schaltanlagenbauer dann aus einem Unwissen heraus auf einen herkömmlichen Lösungsansatz zurückgreift. Wenn der Schaltanlagenbauer dann bei seinem Kunden eine solche Lösung verbaut hat und diese auch funktioniert, wird er automatisch zum Multiplikator.

Findet in diesem Zusammenhang ein aktiver Dialog mit Schneider Electric und den Kunden statt?

Hettig: Mit den Veränderungen in unserer Vertriebsstruktur haben wir neue Profile entwickelt, die diese Themen zielgruppenspezifisch ansprechen. Dem Dreigestirn Investor, Planer und Schaltanlagenbauer müssen wir erklären, wo beim Einsatz dieser Technologien der Nutzen liegt. Also: Hat der Schaltanlagenbauer etwa in seiner Anlage einen Masterpact MTZ verbaut, und der Endkunde legt nach Auslieferung der Anlage nachträglich Wert auf eine Oberwellenanalye, kann er dieses Feature zügig und problemlos nachrüsten. Das ist der Charme unserer Lösungen: Mit der Implementierung unseres Leistungsschalters hat der Schaltanlagenbauer leichtes Spiel bei der Erweiterung der Anlagen mit neuen Features, indem er auf die digitalen Module zurückgreifen kann.

Vor einem Jahr sprachen Sie im Interview über EcoStruxure als einen Service Enabler für den Schaltanlagenbau. Haben Sie in der Zwischenzeit von Ihren Kunden mitbekommen, dass diese nun neue Dienstleistungen anbieten, die sie heute als Mehrwert nutzen können?

Hettig: Wir haben in diesem Jahr die Softwaretools Power Advisor und Building Advisor auf den Markt gebracht. Der Building Advisor findet seine Anwendung in der Gebäudeautomation, und wir haben jetzt einen Endkunden, der aufgrund dieses Advisors festgestellt hat, welche Probleme er in seiner Anlage hat, und wo er bestimmte negative Effekte, die er in der Vergangenheit festgestellt hat, lokalisieren kann. Dieser Kunde möchte nun bestimmte Anlagen oder Anlagenteile erneuern. Während des Betriebs einzelne Anlagenteile zu erneuern ist ein Servicegeschäft. Da befinden sich Schaltanlagenbauer nicht in einem Ausschreibungsverfahren mit zahlreichen Bietern, bei dem eine Unmenge an Bedingungen erfüllt werden müssen, sondern es handelt sich um eine Dienstleistung. Im Power Advisor verbirgt sich Fachspezialistentum. In zehn oder 15 Jahren sind die Advisor vielleicht selbstlernende Algorithmen, heute ist dies noch Fach-Know-how, das der Schaltanlagenbauer zur Erweiterung seines Servicespektrums nutzen kann. (jwz)

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: ABB
Bild: ABB
Neue Reihenschaltschränke

Neue Reihenschaltschränke

Die neuen TriLine C Schränke sind nicht nur auf den Ausbau mit CombiLine N Modulen, Montageplatten oder Traversensystemen abgestimmt, mit drei Schrankoptionen und jeweils vier Innenausbauvarianten bieten sie außerdem eine große Vielfalt an Möglichkeiten für den Schaltanlagenbau.