Höhere Produktivität und Flexibilität

Auf dem Weg zur papierlosen Fertigung

Höhere Produktivität und Flexibilität

Ob Serienfertigung oder Unikate: Zum klassischen Schaltschrankbau gehört eine Vielzahl manueller Arbeitsschritte. Das macht den Prozess insgesamt zeitaufwendig und teuer. Die Lösung: Eine Produktivitätssteigerung bei gleichzeitig höherer Flexibilität und Transparenz verspricht die durchgängige Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Vollständig digitalisierte Prozessabläufe erhöhen die Effizienz in Fertigung und Planung um fast 40 Prozent.

 Der digitale Zwilling entsteht in der Aufbauplanung mit Eplan Pro Panel. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Der digitale Zwilling entsteht in der Aufbauplanung mit Eplan Pro Panel. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Ziel sollte es im Schaltschrankbau daher sein, die verschiedenen Prozesse miteinander zu vernetzen und die entstehenden Daten für alle Arbeitsschritte zentral zu verwalten. Medienbrüche, wie sie bei der Neueingabe von Daten in andere Systeme oder durch die Übergabe von Schaltplänen in Papierform entstehen, sind zu vermeiden. Im Ergebnis profitieren Fertigungsunternehmen von deutlich effizienteren Abläufen. Sind die einzelnen Arbeitsschritte von der Elektrokonstruktion im CAD-System über die Aufbauplanung bis hin zur mechanischen Fertigung, Verdrahtung und zur abschließenden Prüfung eng im digitalen Datenaustausch verzahnt, lässt sich der Aufwand für Arbeitsgänge wie das manuelle Übertragen von Stücklistendaten minimieren. Einen weiteren vermeidbaren Mehraufwand stellen manuelle Mehrfacheingaben von schon aus der Konstruktion vorhandenen Informationen dar. Diese binden nicht nur Arbeitszeit, sondern erhöhen zusätzlich die Fehleranfälligkeit. Sind die einzelnen Prozessschritte untereinander nicht vernetzt, müssen Änderungen am ursprünglichen Auftrag zudem in mehreren Systemen umgesetzt werden.

Der digitale Zwilling begleitet den gesamten Fertigungsablauf und senkt die Fehler - anfälligkeit. Bei der abschließenden Funktionskontrolle spielt er ebenfalls eine wichtige Rolle. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Der digitale Zwilling begleitet den gesamten Fertigungsablauf und senkt die Fehler – anfälligkeit. Bei der abschließenden Funktionskontrolle spielt er ebenfalls eine wichtige Rolle. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Ausblick und Status quo: digitaler Zwilling im Schaltschrankbau

Einen hohen Mehrwert für die Vernetzung der Arbeitsschritte im Schaltschrankbau bringt der digitale Zwilling. Das Modell entsteht in der Elektrokonstruktion und bei der Aufbauplanung. Anschließend begleitet der Zwilling den gesamten Produktionsprozess und versorgt die einzelnen Abteilungen mit den jeweils erforderlichen Informationen. Die Besonderheit: Kunde, Schaltanlagenbauer und deren Zulieferer arbeiten mit dem gleichen Modell. „Die Gerätehersteller, z.B. Siemens, Schneider oder SEW, liefern Eplan-Makros, in denen alle Eigenschaften ihrer Produkte abgebildet sind. Unsere Elektrokonstrukteure fügen diese Geräte in ihren Schaltplan ein und erzeugen so eine logische Version des Modells“, erläutert Mathias Terstegen, Fertigungsleiter Schaltanlagenbau bei der Unitechnik Systems GmbH. Der Aufbauplaner bringt das Modell anschließend in eine physische Form, indem er die Geräte im virtuellen Schaltschrank anordnet. Das fertige Modell beinhaltet alle Maße und zeigt die einzelnen Geräte im Inneren in realistischer 3D-Darstellung. Ebenfalls enthalten sind die gesamte Verdrahtung mit allen Drahtwegen, Kabelkanälen und Hutschienen (Position und Länge) sowie sämtliche Bohrungen und Ausschnitte. Die haptische Darstellung vereinfacht viele Tätigkeiten, da einzelne Positionen im Gewerk leichter erkannt werden. Im Ergebnis ist die Fertigung weniger zeitaufwendig und die Fehleranfälligkeit sinkt maßgeblich.

Vollständig digitalisierte Prozessabläufe erhöhen die Effizienz in Fertigung und Planung um fast 40 Prozent. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Vollständig digitalisierte Prozessabläufe erhöhen die Effizienz in Fertigung und Planung um fast 40 Prozent. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Automatisierung der mechanischen Fertigung

Einen weiteren Vorteil bringen die im Zwilling gespeicherten Daten: Die Längen der Kabelkanäle und Hutschienen werden automatisch erzeugt. Das Ausmessen und der anschließende manuelle Zuschnitt entfallen. Stattdessen stellt ein automatischer Kabelkanal- und Hutschienen-Cutter das Material pro Schrank bereit. Auch in weiteren Prozessschritten bringen die exakten Datensätze aus dem digitalen Zwilling einen hohen Mehrwert in der Bearbeitung. „Für die exakte Position der Bohrlöcher und Ausschnitte holt sich der Bohr- und Fräsautomat seine Daten aus dem 3D-Modell“, so Terstegen. Automatisierte Plott- und Druckstationen entlasten die Mitarbeiter zusätzlich bei der Beschriftung der einzelnen Bauteile. Ein weiteres Beispiel für den Effizienzgewinn durch digitalisierte Prozesse ist das Outsourcen der Klemmleistenfertigung. Fertig beschriftete und komplett konfigurierte Klemmleisten sind über Zulieferer bestellbar: Dazu wird die fertig konstruierte Klemmleiste aus dem digitalen Zwilling zum Dienstleister geschickt und von diesem vollautomatisch produziert. „Ein solcher Automat rechnet sich allerdings nur dann, wenn laufend hohe Stückzahlen benötigt werden“, so Terstegen. „Hier müssen produzierende Unternehmen selbst entscheiden, welche Erweiterung des Maschinenparks sinnvoll ist und was sich outsourcen lässt.“ Auch Leitungen lassen sich nach den jeweiligen Anforderungen vorkonfektionieren.

 

Automatisierte Plottstationen entlasten die Mitarbeiter bei der Beschriftung der einzelnen Bauteile. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Automatisierte Plottstationen entlasten die Mitarbeiter bei der Beschriftung der einzelnen Bauteile. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Papierlose Fertigung dank Smart Wiring

Ein weiterer Schritt hin zur papierlosen Fertigung ist Smart Wiring. Die Technologie ermöglicht es, die gesamte Verdrahtung der Anlage über den digitalen Zwilling zu visualisieren. Ausgedruckte Schaltpläne für die Verdrahter gehören damit der Vergangenheit an. Die Arbeit erfolgt stattdessen via Tablet direkt am 3D-Modell. Ablesen lassen sich aus dem digitalen Zwilling Leitungslängen, Leitungswege und Klemmpunkte. Dabei wird vom System der gleichmäßige Füllgrad der Kabelkanäle berücksichtigt. Arbeiten mehrere Abteilungen zeitgleich an dem Modell, ist es über den digitalen Zwilling zudem möglich, den aktuellen Bearbeitungsstatus in Echtzeit abzulesen. Änderungen sind so jederzeit für alle Beteiligten transparent und exakt dokumentiert. „Ein wichtiger Aspekt ist für uns, dass wir mit der Digitalisierung der Prozesse Änderungen flexibel integrieren können“, so Terstegen. Bei Anpassungen sieht der Elektrokonstrukteur online, ob die betreffende Komponente schon verdrahtet ist, und die Änderung erscheint augenblicklich auf dem Tablet des Verdrahters. Umgekehrt fällt möglicherweise dem Verdrahter ein Fehler auf. Die Änderung wird in Echtzeit an den Elektrokonstrukteur übermittelt.

 

 Bei Anpassungen sieht der Elektrokonstrukteur im Eplan Electric P8, ob die betreffende Komponente schon verdrahtet ist. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Bei Anpassungen sieht der Elektrokonstrukteur im Eplan
Electric P8, ob die betreffende Komponente schon verdrahtet ist. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Schnittstellenproblematik im Schaltanlagenbau

Eine Herausforderung bei der unternehmensübergreifenden Datenübertragung ist die Tatsache, dass es bislang keine allgemein genormte Schnittstelle für das 3D-Modell eines Schaltschranks gibt. In anderen Branchen, wie dem Baubereich, normiert die IFC-Schnittstelle die 3D-Darstellung eines Gebäudes. Der Softwareanbieter Eplan bietet als Marktführer für Elektro-CAD-Systeme stattdessen eine eigene Schnittstelle an. Mit der Softwarelösung Pro Panel bildet Eplan den digitalen Zwilling ab. Kunden und Dienstleister, die Eplan Electric P8 einsetzen, können sich über das Eplan Pro Panel-System miteinander vernetzen und so nahtlos Daten übertragen. Zusätzlich erstellte Dokumente für den Informationsaustausch entfallen.

Flexibilität über Unternehmensgrenzen hinweg

Bei der Arbeit mit dem digitalen Zwilling sind alle Parteien jederzeit auf dem gleichen Stand. Der digitale Zwilling führt dazu, dass unternehmensübergreifend hocheffizient zusammengearbeitet werden kann – sei es im Austausch zwischen Kunden und Schaltschrankbauer oder zwischen Schaltschrankbauer und Zulieferer. Für den Kunden selbst liegt ein weiterer Vorteil im guten Überblick über den Prozessverlauf und die Fortschritte des Projekts. Selbst kleinste Details sind auf einen Blick verfügbar. Das erleichtert die Abstimmung, da sich Aspekte gemeinsam im Modell betrachten und rückbesprechen lassen.

 Auch in Zeiten von Industrie 4.0 steht der Mensch beim Schaltanlagenbau im Mittelpunkt. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Auch in Zeiten von Industrie 4.0 steht der Mensch beim Schaltanlagenbau im Mittelpunkt. (Bild: Unitechnik Systems GmbH)

Interview mit Dirk Schütz, Abteilungs- und Vertriebsleiter Schaltanlagenbau bei Unitechnik Sytems

Herr Schütz, welche Rolle spielt das Thema ‚Digitalisierung‘ bei Ihrer täglichen Arbeit?

Dirk Schütz: Wir versuchen, uns der Vision des papierlosen Büros anzunähern. Daher ist Digitalisierung allgegenwärtig – bei Angebotskalkulation, Terminkoordination und auf dem Weg zum Kunden.

Haben Sie bereits Digitalisierungsmaßnahmen innerhalb Ihrer Schaltschrankfertigung ergriffen, und wenn ja welche?

Schütz: Wir haben die Software Eplan Pro Panel eingeführt. Dadurch werden die Daten von den 20 Eplan Electric P8-Arbeitsplätzen online in die Schaltschrankkonstruktion übernommen. Bohrautomat und CNC-Bearbeitungszentrum werden automatisiert mit Daten versorgt und die Beschriftungsschilder auf Knopfdruck geplottet.

Welche konkreten Schwierigkeiten hatten Sie bei der Einführung von Digitalisierungsmaßnahmen zu überwinden?

Schütz: Digitalisierung im eigenen Hause ist noch einfach zu realisieren. Schwieriger wird es beim Datenaustausch mit Kunden. Wir bekamen manchmal noch Excel-Stücklisten, obwohl der Kunde auch Eplan Electric P8 im Einsatz hat. Da muss oft Überzeugungsarbeit geleistet werden.

In welchem Bereich der Schaltschrankfertigung sehen Sie in Ihrem Betrieb noch Optimierungspotenzial und planen Sie diesbezüglich konkrete Maßnahmen?

Schütz: Wir wollen den digitalen Zwilling unserer Schaltschränke noch effektiver nutzen. Geplant ist die Anschaffung eines Automaten für Hutschienen und Kabelkanäle.

Welchen Wert hat die Aus- und Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter in Bezug auf das Thema Digitalisierung?

Schütz: Die Weiterbildung im Hinblick auf den Einsatz neuer Werkzeuge ist selbstverständlich. Viel wichtiger ist aber die richtige Einstellung: Digitalisierung kann von den Mitarbeitern ausgebremst oder von ihren Ideen vorangetrieben werden. Wir versuchen, alle mit ins Boot zu holen.

Bei den Möglichkeiten, die die zunehmend intelligenten Komponenten, die im Schaltschrank zum Einsatz kommen, bieten: Denken Sie in Ihrem Betrieb über die Ausweitung Ihres Dienstleistungsportfolios nach, etwa in Richtung vorbeugender Instandhaltung oder Energieberatung?

Schütz: Unitechnik hat neben dem Schaltanlagenbau ein großes Engineering. Energiemanagement ist hier auch ein Thema. Unsere Serviceabteilung kennt sich mit Ferndiagnose bestens aus. Dieses Knowhow, das wir in den eigenen Automatisierungsprojekten gesammelt haben, stellen wir unseren Schaltanlagenbau-Kunden gerne zur Verfügung.

 

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