Fehlerquote runter, Durchsatz und Qualität rauf

Schritt-für-Schritt-Digitalisierung bei einem Schaltanlagenbaubetrieb

Fehlerquote runter, Durchsatz und Qualität rauf

Mit derzeit 40 Mitarbeitern ist die Firma Meurer-etechnik in Großmaischeid im nördlichen Rheinland-Pfalz ein eher mittelgroßer Schaltanlagenbauer. Wenn es allerdings darum geht, Zukunftssicherung durch die Einführung von Digitalisierungsmaßnahmen zu betreiben, zählt das Unternehmen seit rund fünf Jahren zu den Vorreitern. Der vorliegende Beitrag skizziert den bisher dabei zurückgelegten Weg und gibt einen Ausblick, welche Aufgaben sich der Betrieb bei diesem ‚Work in Progress‘ noch auf die Fahnen geschrieben hat.

I Im Jahr 2016 begann Meurer-etechnik mit der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen in Planung und Fertigung. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

I Im Jahr 2016 begann Meurer-etechnik mit der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen in Planung und Fertigung. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

Gegründet im Jahr 1969 durch Hermann Meurer, übernahm dessen Sohn Dietmar zur Jahrtausendwende die Firmenleitung. Damals wie heute stellt der Steuerungsanlagenbau das Haupt-Fundament des Betriebs dar. 2008 wurde Meurer-etechnik zusätzlich Siemens Technology Partner für die Fertigung von Sivacon S8 Energieverteilungen, im vergangenen Jahr kam die Systempartnerschaft für VX25 Ri4Power Schalt- und Energieverteilungsanlagen von Rittal hinzu. Mit der Zertifizierung nach UL im Jahr 2015 ist das Unternehmen zudem berechtigt, Schaltanlagen für den so wichtigen nordamerikanischen Markt in den USA und Kanada gemäß der Norm UL508A zu fertigen und mit dem UL-Label auszustatten.

Der Anfang: automatisierte Blechbearbeitung

„Ich bin gar nicht sicher, ob wir die Entscheidung, Maßnahmen zur Digitalisierung und Automatisierung anzugehen, so bewusst im Hinblick auf unsere Wettbewerbsfähigkeit getroffen haben“, bekundet Dietmar Meurer heute rückblickend. Vielmehr seien er und sein Mitarbeiter Florian Löhr, Prokurist und Verantwortlicher für den technischen Vertrieb, Typen, die Arbeitsabläufe gerne optimierten. Diese Eigenschaft, gepaart mit einer Begeisterung für die Möglichkeiten neuester Technik, hätten dazu geführt, dass man sich auf Messen immer wieder für Maschinen zur automatisierten Blechbearbeitung interessierte. Obwohl die Skepsis hinsichtlich einer solch beträchtlichen finanziellen Investition zunächst überwog, waren die beiden letztendlich doch vom Optimierungspotenzial überzeugt. Die Wahl fiel schließlich 2016 auf ein CNC-Bearbeitungszentrum der Marke Perforex von Rittal. Damit war der Startschuss für das bis heute andauernde Projekt namens Evolution Schaltschrankbau gefallen und Phase 1 eingeläutet. „In unserem Marktumfeld hatten wir immer wieder beobachtet, dass Unternehmen solche Maschinen manuell mit Daten versorgten und sich so möglichen Effizienzsteigerungen weitgehend beraubten. Dies wollten wir von Anfang an anders machen“, erläutert Meurer. Zunächst „fütterte“ die Planungsabteilung das Bearbeitungszentrum mit Daten aus einer 2D-CAD-Softwarelösung von Eplan heraus. Meurer weiter: „Innerhalb weniger Tage hatten wir ein Resultat, das uns sehr zufriedenstellte. Auch unsere Mitarbeiter waren rasch von der Maßnahme überzeugt, obwohl sie einer Automatisierungslösung mit Blick auf die Arbeitsplatzerhaltung zunächst mit Vorbehalt begegnet sind. Sie erkannten aber schnell, dass sich der Durchsatz in der Fertigung deutlich erhöhte und wir so mehr Aufträge abarbeiten konnten.“ Im Folgejahr musste dann die Produktionsfläche durch einen Neubau um 1.000 Quadratmeter erweitert werden. Dabei war es Meurer wichtig, seine Belegschaft aktiv in den Ausbau mit einzubinden. So durften die Mitarbeiter Wünsche äußern, wie der Anbau gestaltet werden sollte. Diese Anregungen wurden dann so gut es ging umgesetzt.

In Phase 1 erfolgte die Installation eines CNC-Bearbeitungszentrums der Marke Perforex. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

3D-Schaltschrankplanung, Drahtkonfektionierung und Beschriftung

Die positive Erfahrung zu Beginn des Projektes Evolution Schaltschrankbau bei der Automatisierung der mechanischen Bearbeitung machte den Beteiligten „Hunger auf mehr“. Im Jahr 2018 startete Meurer-etechnik daher Phase 2 mit der Einführung des 3D-Schaltschrankplanungstools Eplan Pro Panel. Es sollte sich zeigen, dass die Einführung dieser Software bzw. deren gewinnbringende Nutzung deutlich mehr Arbeitsaufwand nach sich zog. „Zunächst hat uns ein Trainer aus dem Hause Eplan in die Software eingewiesen. Nach kurzer Zeit erkannten wir aber, dass wir, um das volle Potenzial des Tools ausschöpfen zu können, viel zu wenige Daten der bei uns im Schaltschrankbau verwendeten Artikel besaßen“, betont Prokurist Florian Löhr. Die Planungsabteilung steckte dann viel Arbeit in den Aufbau eines nach Hersteller und Gerätegruppen sortierten Artikeldatenstamms. „Wir sind strategisch vorgegangen und haben zeitliche Blöcke gebildet: Zwei bis drei Monate Arbeit mit Pro Panel, in denen wir die Artikel definiert und uns die dazu notwendigen Daten aus dem Eplan Data Portal beschafft haben. Gleichzeitig haben wird Fragen gesammelt, die dann in zwei Tagen Inhouse-Schulung beantwortet wurden. Mittlerweile haben wir in rund zwei Jahren etwa zehn Schulungen absolviert. Nach und nach erarbeiteten wir uns so immer mehr Lösungen für unsere spezifischen Belange“, sagt Löhr. Ein Unterfangen, das sehr viel Energie und auch Geld kostete, das sich aber noch im selben Jahr mit der Anschaffung einer Maschine zur automatisierten Drahtkonfektionierung der Marke Komax auszahlte – Phase 3 der Evolution Schaltschrankbau. Denn so flossen die in das 3D-Schaltschrankplanungstool eingepflegten Daten direkt in die Drahtfertigung mit ein. „Dadurch, dass wir Drähte jetzt selber konfektionieren, hat sich unsere Fertigung beschleunigt und wir können mehr Aufträge in der gleichen Zeit abarbeiten. Digitalisierung wurde bei uns also von Anfang an nicht mit Arbeitsplatzabbau, sondern mit Wachstum in Verbindung gebracht“, betont der Firmenchef. Nebenbei verbesserte sich das äußere Erscheinungsbild der Schaltanlagen, da die Leitungslängen gleichmäßiger und die Drähte ansehnlicher waren, weil sie nicht mehr von einer Spule abgewickelt wurden. Zudem erhalten die Kunden eine Einzeladerbeschriften zum Nulltarif hinzu. Ebenfalls digitalisiert wurde auf der Fertigungsebene der Beschriftungsprozess mit Hilfe eines Druckers von Weidmüller. Die Kennzeichnung von Klemmen, Betriebsmitteln, Schildern, Baugruppen sowie von Kabel und Leitungen erfolgt automatisiert.

Im nächsten Schritt wurde das 3D-Schaltschrankplanungstool Eplan Pro Panel eingeführt. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

Schaltplanerstellung auf Knopfdruck

Gegenwärtig befindet sich Meurer-etechnik in Phase 4 des Projektes, die in der zweiten Jahreshälfte 2019 gestartet wurde. Dieser ebenfalls sehr zeitaufwändige Projektabschnitt hat das Ziel, die Schaltplanerstellung nach dem Vorbild der Produktion zu teilautomatisieren. Realisiert wird dies mit der Software Eplan Cogineer. Im Planungsbüro übernahm diese Aufgabe ein Mitarbeiter, der weitestgehend vom Tagesgeschäft entbunden wurde und sich zu 90 Prozent der „Schaltplangenerierung auf Knpofdruck“ widmet. Cogineer lebt von seiner Makrosammlung, also Makrokästen, in denen die Daten der Bauteile für den Schaltschrank hinterlegt sind. Die Software verwaltet all diese kleinen Makrokästen und der Planer erstellt über Auswählen und Klicken komplette Schaltpläne. Auch Zubehörteile können bereits vorkonfiguriert werden. Wird beispielsweise ein Hauptschalter mit 100A ausgewählt, werden dem Planer ausschließlich die Zubehörteile für diesen Hauptschaltertyp angeboten. Der Aufwand für die Planungsabteilung besteht in der Erarbeitung der Makros. Die ersten Konfiguratoren für die Schaltplanerstellung hat das technische Büro nun aufgebaut: 24V-Versorgung, Einspeisung, Energieverteilung, kommunaler Standard, Industriestandard, Standards für Großkunden und einen eigenen Meurer-etechnik-Standard. Ein weiteres Beispiel für nennenswerte Arbeitserleichterungen: Der rheinland-pfälzische Schaltschrankbauer verwendet Basis-Schienensysteme der Anbieter Rittal, Siemens und Wöhner. Wählt der Planer zu Beginn der Schaltplanerstellung ein bestimmtes Basissystem aus, werden ihm ausschließlich die für dieses System passenden Adapter angeboten. Wird ein Blitzschutz an einer Einspeisung über 125A gewünscht, berücksichtigt die Software automatisch den Einbau eines NH-Trenners. Würde der Planer alle Komponenten händisch in den Schaltplan einpflegen, nähme dies erheblich mehr Zeit in Anspruch. Die Erstellung der Makros erfolgt so umfassend und detailliert wie möglich, das heißt bei Projektbeginn geht der Planer immer von einem Vollausbau aus. Das nicht benötigte Material entfernt er entsprechend mit wenigen Klicks. Zur Beschäftigung mit Cogineer kommt für den für das Projekt betrauten Mitarbeiter noch die Datenpflege in Bezug auf die anderen im Einsatz befindlichen Systeme wie CNC-Bearbeitungszentrum, Drahtkonfektionierung und Beschriftung. „Mittlerweile ist der Kollege so tief in die unterschiedlichen Software-Tools eingetaucht, dass ihm die regulären Hotlines unserer Zulieferer bei Fragen kaum noch weiterhelfen können. Daher wird er immer öfter mit den Entwicklungsabteilungen verbunden. Teilweise haben die Hersteller auch schon auf seine Hinweise hin Optimierungen ihrer eigenen Software vorgenommen“, schmunzelt Prokurist Florian Löhr. Er zeigt sich sehr zufrieden mit dem Fortschritt bei der automatisierten Schaltplanerstellung: „Einmal getestet, funktionieren die Makros sehr gut. In der Drahtkonfektionierung beispielsweise ist immer alles komplett, die Querschnitte sind immer richtig. Sollte sich einmal ein Parameter ändern, müssen wir die Master-Datei nur entsprechend anpassen. Danach kann der Planer sofort wieder darauf zurückgreifen. Auch hier hat sich die Fehlerquote deutlich reduziert.“ Löhr stellt allerdings auch klar, dass das Thema Makros keineswegs abgeschlossen ist: „Für den Bereich Einspeisung haben wir mittlerweile 90 bis 95 Prozent der möglichen Anwendungen über den Cogineer abgedeckt. Sukzessive werden wir uns als nächstes in anderen Bereichen wie SPS, Sicherheitstechnik, etc. vorarbeiten.“

I Dies war die Grundlage für die automatisierte Drahtkonfektionierung in Phase 3. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

I Dies war die Grundlage für die automatisierte Drahtkonfektionierung in Phase 3. (Bild: Meurer-etechnik GmbH & Co. KG)

Zwischenbilanz und nächste Schritte

In einer Art Zwischenbilanz des Projektes Evolution Schaltschrankbau konstatiert Dietmar Meurer: „Alles in allem wird der Schaltschrankbau in der Losgröße 1 für mich durch die getroffenen Maßnahmen nicht billiger. Die Mehrkosten, die im technischen Büro anfallen, sparen wir in der Fertigung ein. Aber ich erziele mit den durchgeführten Digitalisierungsmaßnahmen einen viel höheren Durchsatz. Die Qualität sowohl in der Planung als auch in der Fertigung hat sich erhöht. Daher haben wir es in der Endabnahme mit einer geringeren Fehlerquote zu tun. Falsche Querschnitte in der Verdrahtung oder fehlerhaftes Routen kommen praktisch nicht mehr vor. Unseren Kunden können wir eine sehr hochwertige Dokumentation ihrer Schaltanlage an die Hand geben, was für ein positives Feedback gesorgt hat.“ In jedem Fall würde er den begonnenen Weg wieder einschlagen, da er seine Wettbewerbsfähigkeit dadurch deutlich gesteigert sieht. Allerdings räumt Meurer ein, dass ein inhabergeführtes Unternehmen hinsichtlich der zu treffenden Entscheidungen im Vorteil ist: „Wäre ich ein angestellter Geschäftsführer, der Investitionen erst vor Inhabern rechtfertigen müsste, hätte ich unter Umständen Probleme bekommen.“ Bewährt habe sich auch der regelmäßige Austausch mit der Fachhochschule des Mittelstands in Köln, weil dadurch wichtige und vor allem herstellerneutrale Anregungen von außen in seinen Betrieb einflössen. Möglicherweise resultierten aus der Zusammenarbeit mittelfristig auch konkrete Projekte, aber da möchte sich der Firmeninhaber nicht zu tief in die Karten schauen lassen. Und wie sehen die nächsten Schritte bei der Evolution Schaltschrankbau aus? Neben der bereits erwähnten Erarbeitung weiterer Makros bei der automatisierten Schaltplanerstellung wäre eine teilautomatisierte Angebotserstellung wünschenswert, denn auch hier könne man sich durch Geschwindigkeit Wettbewerbsvorteile sichern, da die Kundenansprüche ständig zunähmen. „Im Bereich Fertigung wäre für uns eine automatisierte Klemmleistenbestückung und -beschriftung interessant. Da aber hier ausschließlich proprietäre Lösungen der jeweiligen Klemmenanbieter auf dem Markt sind und wir Klemmen von drei unterschiedlichen Herstellern verarbeiten, macht dies derzeit keinen Sinn. Unsere entsprechenden Arbeitsplätze werden wir vorerst lediglich mit Blick auf eine verbesserte Ergonomie überarbeiten“, sagt Dietmar Meurer. In einem der nächsten Schritte wird der Schaltanlagenbauer aber auf jeden Fall eine getaktete Montage einführen. Bei diesem Prinzip wird der Montageablauf eines Schaltschranks in mehrere Montagezyklen unterteilt, in denen fest definierte Arbeitsabläufe gebündelt sind und ausgeführt werden. Beispiele aus anderen Branchen haben gezeigt, dass sich hierdurch der Produktionsprozess übersichtlicher und flüssiger gestalten lässt und Arbeitsplatz- und Ablaufgestaltung einfacher zu optimieren sind, da es seltener zu Störungen kommt. Zudem werden durch eine getaktete Montage Material- und Informationsflüsse häufig transparenter. Langeweile droht bei Meurer-etechnik in Großmaischeid jedenfalls nicht aufzukommen. (jwz)

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