Flexibel trotz Serienfertigung

Flexibel trotz Serienfertigung

Laser-Schneidanlage bringt Flexibilität und Geschwindigkeit in die Produktion von Schaltschränken bei Rittal

Im Schaltschrankbau setzt Rittal Trends. Selbst vollendet geglaubte Schaltschranksysteme werden hier permanent weiter entwickelt. Ein Beispiel ist der neue Einzelschrank SE 8, der sich bereits in einem frühen Stadium der Serienfertigung durch robotergesteuerte Laser-Schneidetechnik mit Ausbrüchen nach Kundenanforderungen modifizieren lässt. Möglich wurde dies mithilfe eines Laser-Schneideportals von Reis.
Der Bedarf an Schaltschränken ist ungebrochen hoch, denn überall, wo elektrische oder elektronische Bauteile, Steuerelemente oder Stromverteilungen sicher montiert und geschützt werden müssen, sind Schaltschränke unersetzlich. Der erste Standard für die Serienfertigung von Schaltschränken wurde 1961 von Rittal gesetzt. Der Slogan von damals besitzt weiterhin Gültigkeit: „Den Schaltschrank, den Sie morgen brauchen, haben wir bereits gestern gebaut und heute schon abrufbereit am Lager stehen.“ Die schnelle Verfügbarkeit von Produkten ist eines der stärksten Argumente für Rittal. Heute ist das Unternehmen in der Schaltschranktechnik international führend und belegt mit weltweit 1.500 Patenten eine außergewöhnliche Innovationskultur. Und täglich werden Tausende von Gehäuse- und Schaltschränken neu gefertigt. Allerdings erwarten Kunden wie Steuerungs- und Schaltanlagenbauer heute noch mehr als nur eine schnelle Lieferung: Sie erwarten Anpassungen und Modifikationen der Serienschränke, um sich eigene zeitraubende manuelle Fertigungen zu ersparen. Die Rede ist in erster Linie von Ausbrüchen an Türen, Seitenwänden und Dach, um Einbauten, Durchführungen, Anzeigeelemente, Anschlüsse, Klimatisierungskomponenten etc. aufnehmen zu können. Um diese Anforderungen schnell und in gewohnt hoher Qualität umsetzen zu können, setzt Rittal nun einen neuen Laser-Schneideroboter von Reis ein. „Da die Wünsche unserer Kunden letztlich unendlich viele Optionen für Ausbrüche nach sich ziehen, haben wir für unsere neue Einzelschrankserie SE 8 die Möglichkeit der Modifikation von Anfang an in der Fertigung berücksichtigt“, so Markus Nietsch, Fertigungsplaner im Technologie- und Service-Center bei Rittal. Und ergänzt: „Als Serienfertiger mussten wir eine intelligente Lösung schaffen, die quasi ohne Unterbrechung der Serienfertigung entsprechende Optionen ermöglicht. Wir arbeiten schon seit Jahren eng mit Reis zusammen, demzufolge war es nur logisch, anzufragen, welche Möglichkeiten hier sinnvoll wären.“ Was nun entstand, ist in der Serienfertigung ziemlich einmalig, denn Losgröße 1 für die Modifikation eines Serienproduktes war die Herausforderung, die Reis mit der neuen Anlage erfüllt hat. Der neue SE-8-Schaltschrank unterscheidet sich von vielen anderen Rittal-Anreihschaltschränken v.a. dadurch, dass er als Einzelschrank konzipiert wurde, also für den Standalone-Einsatz etwa bei Maschinen und Anlagen oder in der Gebäudetechnik. Im Gegensatz zu Anreihschränken mit Rahmensgestell und abnehmbaren Seitenwänden ist der Grundkorpus des SE 8, der aus zwei Seitenwänden und Dach besteht, aus einem Stück Stahlblech gefertigt. In der Fertigung werden dabei an einer einzigen Stahlblechplatine durch einen patentierten Falz- und Abkantprozess Rahmenprofile an Seitenwände und Dach angeformt.

Schränke einfach aus der Serie ausschleusen

Nun galt es, im Projekt eine effiziente Lösung zu finden, um die neuen Einzelschränke vor dem Lackierprozess für Modifikationen auszuschleusen. Sind individuelle Ausbrüche vom Kunden gefordert, werden die zuvor fertig gekanteten und geschweißten Gehäuse einfach über eine Weiche aus der Fördereinrichtung abgezweigt. Direkt daneben befindet sich die neue Laser-Bearbeitungszelle von Reis. Hier übernimmt ein Werker das Gehäuse über eine ergonomisch ausgeführte Beschickungseinrichtung und schiebt es – ohne es ein einziges Mal heben zu müssen – in die Spannvorrichtung der Anlage, die sich dazu entsprechend aufrichtet und programmgesteuert auf die richtige Abmessung einstellt. Alle denkbaren Gehäusevarianten können auf dieser Vorrichtung automatisch fixiert werden.

3D-Bearbeitung von fünf Seiten

Und was der besondere Clou ist: Eine einzige Aufspannung reicht für eine 3D-Bearbeitung von bis zu fünf Seiten. Allein durch diese Aufspannung konnten gegenüber anderen Anlagen die Rüst- und Handlingzeiten massiv reduziert werden. „Wir haben Rittal ein Portal vorgeschlagen, weil nur dieses die völlig freie Bewegung des hängenden Roboters ermöglicht und er nirgendwo ‚im Weg‘ steht“, erklärt Vertriebsleiter Norbert Höppe von Reis.

Zwei Bearbeitungsstationen im Portal

„Die Auslegung des Portals erfolgte dann auf Wunsch von Rittal sogar noch mit einem größeren Arbeitsraum. Deshalb konnten wir neben der individuellen Fertigung der Ausbrüche an den neuen SE-8-Schränken noch eine zweite Station in die Laser-Schneidzelle integrieren, um für die gesamte Anlage eine noch höhere Auslastung zu realisieren.“ In der zweiten Station werden über einen 2-Ebenen-Wechseltisch Flachteile anderer Schrankmodelle – beispielsweise Türen oder Seitenwände etwa von Anreihsystemen – eingelegt, um an diesen ebenfalls Ausbrüche zu fertigen. Zum Einsatz kommt ein 2kW-Faserlaser von IPG, der bei Rittal mit dem Laserportal RLP16-FT kombiniert wurde. Das Besondere an dieser Kinematik ist die einzigartige, integrierte Strahlführung. Die Laserstrahlführung im Roboterarm punktet neben der verbesserten Zugänglichkeit auch damit, dass die Faserzuführung keine Störkontur bildet, die sich an einem Bauteil verhaken könnte. Überdies liegt ein weiterer Vorteil gegenüber stationären Lasersystemen, bei denen das zu bearbeitende Bauteil bewegt wird, darin, dass der Roboter in weiten Bereichen völlig frei beweglich ist und mit seinem kompakten Handgelenkmodul sogar sehr komplexe, dreidimensional geformte Bauteile mit Hinterschneidungen bearbeiten kann. Die eingesetzte Schneidoptik mit kapazitiver Abstandssensorik steuerte das Schwesterunternehmen Reis Lasertec bei.

Software für einfache Bedienung

Wer in einer Serienfertigung Modifikationen mit Losgröße 1 einbringt, wünscht sich eine einfache und schnelle Lösung. Aus diesem Grund hat Reis die intuitive Offline-Programmierung ProVis so modifiziert, dass anhand der Auftragsmaße oder CAD-Daten des Kunden automatisch ein Programm für den Laser-Schneideroboter erzeugt wird. Dabei reichen sogar 2D-CAD-Daten aus, denn letztlich braucht der Roboter pro Seite nur die Flächenkoordinaten, um Ausbrüche vom winzigen Schraubenloch bis zur großflächigen Öffnung mit beliebiger Kontur anzufertigen. Zur Programmierung gehört auch eine Simulation, die dem Werker an der Bearbeitungszelle erlaubt, vor dem eigentlichen Schnitt alle Bewegungen zu simulieren, um Kollisionen des Roboters mit Bauteilen zu verhindern. Zusätzlich haben die Entwickler bei Reis den optimalen Ort für Beginn und Ende jedes Schnitts berücksichtigt. Dies verhindert, dass bei größeren Ausbrüchen Blechteile unkontrolliert herausfallen und sich ggf. verhaken. Bereits bei Projektbeginn wurde eine weitere innovative Option bedacht. Die Rede ist von einer vollständigen Automatisierung der gesamten Prozesskette vom Kundenauftrag bis zum individuellen Ausbruch. „Schon bald werden unsere Kunden die Schrankmodelle über einen Internet-Konfigurator gleich mit den Ausbrüchen bestellen können“, ergänzt Markus Nietsch. „Das heißt, der Auftrag geht vom Internet-Bestellportal direkt bis zum Laser-Roboter durch, ohne dass dazu noch weitere manuelle Schritte nötig wären.“ Nach der Bearbeitung eines Korpus wird der Schaltschrank wieder in die Serie eingeschleust. Nun folgen EC-Grundierung und Pulver-Lackierung. Dadurch erreichen auch die modifizierten Gehäuse das gleiche hohe Qualitäts- und Korrosionsschutzniveau wie alle anderen Serienprodukte von Rittal.

Sicherheit groß geschrieben

Ein moderner Faserlaser, wie er bei Rittal eingesetzt wird, hat eine solch hohe Energiedichte, dass Mitarbeiter in Fertigungsumgebungen besonders geschützt werden müssen. Rittal setzt auf eine geschlossene Laserzelle in Form einer Aluminium-Hohlkammereinhausung, die ringsum mit den patentierten und einzigartigen LaserSpy-Sensoren von Reis Lasertec ausgerüstet ist. Gemäß der aktuellen CE- und Sicherheitsvorschriften geht es bei Festkörperlasern nicht ohne aktive Sicherheitstechnik. Würde bei der gewählten Einhausung der Laserstrahl durch eine Fehlfunktion in diese Hohlkammer eindringen, wird dies detektiert und die Laserquelle innerhalb von Millisekunden sicher ausgeschaltet – also schnell genug, um weiteren Schaden zu verhindern. Tests bei Reis Lasertec haben bewiesen, dass selbst bei einem gezielten Durchschuss der ersten Aluwand ein wärmeempfindliches Thermopapier im Hohlraum keinerlei Verfärbung aufwies, also nicht vom Laserstrahl getroffen wurde; so schnell hat der LaserSpy abgeschaltet. Prozess und Bearbeitungsfortschritt in der Zelle überwacht der Bediener über einen großen Bildschirm an seinem Arbeitsbereich.

Fazit

Das hohe Prozess-Know-how bei Reis machte es möglich, diese sehr spezielle Lösung mit dem ganz ’normalen‘ Fertigungsablauf so zu verzahnen, dass Modifikationen weder Produktionsgeschwindigkeit noch Serienstandard von Rittal negativ beeinflussen. Reis und Rittal haben in dem gemeinsamen Projekt gezeigt, dass ein Schrank mit Modifikationen nur wenige Minuten länger in der Fertigung verweilen muss als Standardmodelle. Durch die 3D-Laserbearbeitung im Reis-Laserportal sind nicht nur flexible Ausbrüche in jeder beliebigen Form und Größe in höchster Qualität möglich. Sie gestatten auch eine durchgängige Auftragssteuerung von der Erfassung in einem Internetportal bis zur Verladung auf den LKW und Transport an den Einsatzort.

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