Interview mit Richard Markus (Teil 2)

Interview mit Richard Markus (Teil 2)

„Wir möchten unsere Kunden unterstützen, effizienter zu werden“

Im zweiten Teil unseres Interviews spricht Richard Markus, Leiter Internationales Key-Account-Management Transport bei Wago, über vielversprechende globale Wachstumsmärkte für die Bahntechnik, relevante Normen und die umfangreichen Tests, die zur Erfüllung der hohen Standards notwendig sind. Außerdem berichtet Herr Markus, welche Lösungen von Wago abseits der Verbindungstechnik in dieser Branche eine wichtige Rolle spielen.

Welches sind für Wago international gesehen die wichtigsten Märkte im Hinblick auf die Bahntechnik?

Richard Markus: Zurzeit werden weltweit jährlich mehr als 150Mrd.E in die Bahntechnik investiert, mit einem stetigen Wachstum von ca. 3,4 Prozent pro Jahr. 2025 werden es also weltweit 170Mrd.E sein. Wago ist weltweit überall dort aktiv, wo unsere Kunden – und dies sind vor allem die großen Systemhäuser – ihre Fertigung haben. Wir unterstützen unsere Kunden dahingehend, dass wir vor Ort ein Spezialisten-Netzwerk aufbauen. In Russland z.B. muss in die Bahntechnik investiert werden. Dort müssten eigentlich pro Jahr rund 1.000 Loks neu eingesetzt werden. Es werden aber maximal 700 Loks eingekauft. D.h. die Schere klappt immer weiter auseinander und es bildet sich ein Investitionsstau. Andere Wachstumsregionen sind beispielsweise Brasilien, Argentinien, aber auch der afrikanische Kontinent, allen voran Südafrika. Hier sind die chinesischen Lösungsanbieter sehr gut im Geschäft, die nur durch den Bedarf ihres heimischen Marktes ihre Fabriken gar nicht mehr auslasten können.

Welche sind die relevanten Normen für die Bahntechnik?

Markus: Im Prinzip gibt es zwei Normen, die im Bahnbereich relevant sind: das ist einmal die DIN EN50155 mit ihrem internationalen Pendant IEC60571, und dann gibt es noch Brandschutzanforderungen – genauer gesagt die Brandschutznorm DIN EN45545. Letztere hat seit ihrem Inkrafttreten im August 2013 bei den Komponentenherstellern für viel Aufregung gesorgt. Die DIN EN50155 beschreibt grundsätzlich die Anforderungen, die in und an Bahnfahrzeuge und Komponenten gestellt werden. Aus dieser Norm heraus wird auf weitere Normen verwiesen, zum Beispiel auf Aspekte wie die Schock- und Vibrationsfestigkeit. Ferner wird auf Normen zur Durchführung qualifizierter Tests verwiesen, damit die Komponenten den hohen Bahn-Anforderungen genügen.

Führen Sie diese Tests selber durch, oder nehmen Sie dafür externe Dienstleiter in Anspruch?

Markus: Wir führen diese Tests in unserem akkreditierten Labor selber durch. Und unsere Prüfer sind sehr streng mit uns. Häufig packen sie sogar noch einige Anforderungen drauf, damit wir gegenüber unseren Kunden auch sicher sein können, dass unsere Komponenten funktionieren. Es werden Vibrations-, Schock-, Temperatur- oder EMV-Tests durchgeführt, damit die Komponenten die Anforderungen erfüllen, die in der DIN EN50155 beschrieben sind. Diese Anforderungen fließen dann auch beispielsweise in unsere Automatisierungskomponenten ein.

Sie erwähnten vorhin, dass die Brandschutznorm DIN EN45545 für viel Gesprächsstoff bei den Herstellern von Komponenten für die Bahntechnik sorgt. Können Sie dies bitte konkretisieren?

Markus: Die jüngsten Brandschutzbestimmungen haben zu kontroversen und heftigen Diskussionen, aber auch zu einer Verunsicherung am Markt geführt, da diese ein ungeheures Maß an bürokratischem Aufwand geschaffen haben. Dabei war die Ausgangsmotivation zur Schaffung einer neuen Brandschutznorm eine ganz hehre: Ziel war es nämlich, für einen maximalen Personenschutz im Bahnverkehr zu sorgen. Bis August 2013 galten hierfür auf europäischer Ebene noch die nationalen Normen – es gab also französische, italienische, englische oder deutsche Brandschutznormen. Dies bedeutete, wenn ein Komponentenhersteller in diese europäischen Länder liefern wollte, musste er die jeweilige nationale Norm erfüllen, was sehr aufwendig und kostspielig war. Dieses Problem hatte die Politik erkannt und sich bemüht, eine gemeinsame europäische Norm zu schaffen. Zu diesem Zweck waren entsprechende Gremien seit 1991 an der Arbeit, die nationalen Normen zusammenzuführen und in eine europäische Norm zu ‚gießen‘. Nach Meinung vieler Bahnzulieferer hat man bei dieser Arbeit allerdings die Hauptintention – nämlich den Personenschutz – etwas aus den Augen verloren und sich stattdessen nur noch auf die Tests, deren Abfolge und auf die Qualifizierbarkeit von Kunststoffen konzentriert. Dies hatte zur Folge, dass Hersteller jetzt selbst bei dem kleinsten Beschriftungsschild über ein Zertifikat belegen mussten, dass dieses die Brandschutznorm erfüllt. Bei einer Klemme, die nur einige Cent kostet, müssten Dokumentationen über sieben Seiten beigefügt werden. Das Prozedere, wie die Brandschutz-Konformität hinsichtlich der Komponenten geprüft und abgefragt wird, ist schlicht unverhältnismäßig. Es ist kompliziert, undurchsichtig und lässt viel zu viel Interpretationsspielraum. Ergo: es wurde an der Praxis vorbeigenormt. Ein weiterer Kritikpunkt: Komponentenhersteller müssen im Detail offen legen, aus welchen Materialien ihre Produkte gefertigt sind und so entscheidende Betriebsgeheimnisse preisgeben. Aber bitte beachten Sie, dass meine Kritik nur dem Prozedere gilt. Gewiss ist ein hohes Maß an Sicherheit sinnvoll, aber wir müssen auch darauf achten, dass wir uns nicht durch unnötigen Bürokratismus blockieren und unsere Bahn-Fahrzeuge dadurch nicht sicherer, sondern nur teurer machen und so einen Wettbewerbsnachteil gegenüber außereuropäischen Herstellern haben.

Wo wird es denn besonders deutlich, dass bei der Normung das eigentliche Ziel – nämlich der Personenschutz – aus dem Blick verloren wurde?

Markus: Nur ein Beispiel: Bei den alten nationalen Normen war definiert, dass es einen Innen- und einen Außenbereich bei Bahnfahrzeugen gibt. Der Innenbereich war derjenige, wo sich Passagiere aufhalten. Dieser war in besonderem Maße zu schützen, d.h. man ging davon aus, dass Passagiere nicht nur reisen, sondern im ungünstigsten Fall auch für unvorhergesehene Dinge wie Vandalismus oder Brandstiftung verantwortlich sein können. Dementsprechend musste ein Sitzpolster oder eine Deckenverkleidung viel strengeren Brandschutzanforderungen genügen als eine Komponente, die in einem Schaltschrank verbaut war. Selbstverständlich sind auch dort technisch sinnvolle Maßnahmen zu treffen, um etwa einen Kurzschluss zu vermeiden. In der aktuellen Norm ist aber genau diese klare Definition verloren gegangen. Man spricht zwar auch heute noch von Innen- und Außenbereich, da jedoch die Definition fehlt, interpretiert jeder nach Gutdünken was er darunter versteht.

Das heißt der Personenschutz wird gewissermaßen auch in den Bereichen erfüllt, wo es gar keinen Sinn macht…

Markus: Es wird einfach nicht mehr darüber nachgedacht, warum damals für einige Bereiche schärfere Anforderungen gegolten haben als für andere. Wenn ich für alle Bereiche immer nur die Maximalforderungen stelle, ohne dass dies ggf. auch Sinn macht, verteuert dies die Sache nur unnötig.

Noch einmal zurück zu Ihren Produkten: Kommen diese in erster Linie in den mobilen Fahrzeugen, oder auch in stationären Einrichtungen wie Stellwerken oder Signaleinrichtungen zum Einsatz?

Markus: Wir sind sowohl in Bahnfahrzeugen, als auch in den stationären Infrastrukturen zu Hause. Denn gerade in den stationären Infrastrukturen ist die Zuverlässigkeit und maximale Sicherheit von einer Komponente wie einer Klemme besonders wichtig. Versagt ein Stellwerk, steht eine Weiche falsch und das kann katastrophale Konsequenzen haben. Deshalb sind die Anforderungen im Bereich Signaltechnik häufig höher, als in allen anderen Bereichen.

Die Verbindungstechnik von Wago ist in der Bahntechnik schon weit verbreitet. Sie erwähnten, dass es wünschenswert wäre, wenn auch andere Wago-Komponenten Einzug in diesen Bereich halten würden. Gibt es hierzu bereits Referenzen?

Markus: Mit unserer Interface- und Automatisierungs-Technik sind wir bei der Bahn durchaus schon erfolgreich im Einsatz, können und wollen hier aber noch wachsen. Unsere Automatisierungstechnik wird zum Beispiel in stationären Anlagen, d.h. zur Steuerung von Bahnhöfen und Signaltechnikanlagen, eingesetzt. In der Schweiz werden bereits über 1.000 nicht bemannte Bahnstationen komplett von unseren Bussystemen überwacht und gesteuert.

Was unternimmt Wago sonst noch, um in der Bahntechnik auch zukünftig eine wichtige Rolle zu spielen?

Markus: Ganz grundsätzlich geht es darum, sich auf Lösungen auszurichten. Wir möchten unsere Kunden dabei unterstützen, bereits bei der Planung und dem Bau ihrer Fahrzeuge effizienter zu werden, und dies geht nur über die Betrachtung der Komplettlösung. So bieten wir unseren Kunden beispielsweise Unterstützung von der Planung seiner Verbindungstechnik bis zur Lieferung. Dafür stellen wir ihm über das Internet ein kostenfreies Software-Tool zur Verfügung, mit dem er sich anhand seines Schaltplans eine individuelle, komplett geprüfte und einbaufertige Klemmleiste erstellen lassen kann. Er muss sich also nicht mehr aufwendig aus dem Katalog einzelne Klemmen heraussuchen, diese aneinanderreihen und hoffen, dass er keine Fehler gemacht hat. Unser Tool überprüft sofort, ob der Aufbau technisch einwandfrei ist oder ob zum Beispiel eine Endklemme oder Abdeckung in der Planung vergessen wurde. Es muss also für den Kunden eine Durchgängigkeit vorhanden sein – Industrie 4.0 halt.

Thematik: Allgemein
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