Normen im Schaltschrankbau

Normen im Schaltschrankbau

Auf die Kundenanforderungen kommt es an

ATR Industrie-Elektronik fertigt und prüft als ‚verlängerte Werkbank‘ Schaltgerätekombinationen für den nationalen und internationalen Markt. Die unterschiedlichen Anforderungen nach normgerechter Ausführung und Zertifizierungen setzt das Unternehmen gemeinsam mit seinen Kunden um. Es prüft die Anlagen nach den geforderten Normen bzw. Vorgaben und erteilt bei Bedarf auch UL- bzw. CUL-Zertifizierungen im Haus.
Im Rahmen seiner engen Zusammenarbeit mit Kunden tauchen bei ATR immer wieder Fragen und Diskussionen zur ’normgerechten Umsetzung‘ von Schaltschränken auf. Die Einführung der Normenreihe DIN EN61439 im Jahr 2010 entfachte die Diskussion über die richtige Auswahl der auszuwählenden Normen im Schaltschrankbau. Die Frage beim Schaltschrankbauer, „muss ich nach DIN EN61439 bauen oder reicht auch die Umsetzung der DIN EN60204“, wurde nach Ende der Übergangsfrist im November 2014 erneut ausgelöst.

Relevante Vorgaben im Vorfeld festlegen

Hierzu ist festzustellen: Eine Norm ist vom Grundsatz her noch kein Gesetz. Es ist nicht zwingend erforderlich, eine bestimmte Norm umzusetzen. Vielmehr gilt es hier, vertragsrechtlich die Kundenforderungen umzusetzen. Vertraglich kann eine Schaltgerätekombination (SK) z.B. auch nach UL, CSA, EN, ATEX oder auch nach speziellen Kundenvorgaben geplant, gefertigt und geprüft werden. Es ist also besonders wichtig, schon vor Vertragsabschluss die relevanten Vorgaben festzulegen. Spätere Anpassungen sind in der Regel mit kostenintensiven Aufwendungen verbunden und zum Teil auch gar nicht mehr umsetzbar. Wird beispielsweise eine Schaltgerätekombination nach europäischen Normen gebaut und in die USA ausgeliefert, ist eine Zulassung nach UL kaum noch möglich.

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Maschinenrichtlinie versus Niederspannungsrichtlinie

Seitens der Anwender taucht häufig die Forderung nach einer vertraglich zugesicherten Einhaltung folgender Normen und Richtlinien auf: aktuelle EN-Normen, Maschinenrichtlinie (MRL: 2006/42/EG), Niederspannungsrichtlinie (NSPR: 2006/95/EG) sowie EMV Richtlinie (EMVR: 2004/108/EG). Hieraus ergibt sich ein teilweise sehr breites Spektrum an Normen, die eingehalten werden sollen. Aber welche EN-Normen sind nun anzuwenden? Da viele Maschinenbauer eine CE-Kennzeichnung nach der Maschinenrichtlinie (MRL: 2006/42/EG) vornehmen, wird hier die Umsetzung der DIN EN60204-1 gefordert. Aus der Vermutungswirkung wird abgeleitet, dass die Umsetzung der in der MRL aufgeführten Normen (Amtsblätter der Europäischen Union) die geforderten Bedingungen erfüllt. Da die DIN EN61439 hier nicht explizit aufgeführt ist, besteht verbreitet die Annahme, dass diese nicht umgesetzt werden muss. Hierzu ein Zitat aus der Verlautbarung der DKE/K 225: Die Anwendung der DIN EN60204-1 erlaubt die Konformität mit den entsprechenden grundlegenden Anforderungen der Maschinenrichtlinie oder Niederspannungsrichtlinie zu erklären (Vermutungswirkung für die im Anhang ZZ aufgeführten Anforderungen des Anhangs I der Maschinenrichtlinie). Als Ergebnis der Risikobewertung kann der Hersteller der Schaltgerätekombination technische Regeln z.B. die der DIN EN61439-1 und DIN EN61439-2 als ergänzende Konstruktionshilfe (z.B. Erwärmungs- und Kurzschlussbetrachtung) verwenden. Die ausschließliche Anwendung der DIN EN61439-1 und DIN EN61439-2 ist für die Sicherheit von Maschinen jedoch nicht ausreichend. Für die Konformitätserklärung von Schaltgerätekombinationen, die Teil der elektrischen Ausrüstung von Maschinen sind, ist die Berücksichtigung der DIN EN60204-1 ausreichend. Diese Annahme ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die Umsetzung der EN60204 für die Anwendung der MRL erforderlich ist. Übergeordnete bzw. gemeinsame Schutzziele der Richtlinien schließen sich jedoch gegenseitig nicht aus. Dies bedeutet, dass die Schutzziele der Niederspannungsrichtlinie (NSPR: 2006/95/EG) und der EMV-Richtlinie (EMVR: 2004/108/EG) in jedem Fall erfüllt werden müssen. Somit können auf Basis einer Risikobewertung mit Sicherheit einzelne Aspekte ausgelassen werden. Es kann aber auch erforderlich sein, dass zusätzliches Aspekte hinzugenommen werden. Eine Norm grundsätzlich nicht zu beachten, wäre daher mit Sicherheit fahrlässig. Jeder Maschinen- und Schaltschrankbauer sucht seine Komponenten nach Produktnormen aus (selbst die kleinste Schraube wird nach DIN ausgewählt). Es ist daher absolut fragwürdig, wie im Schadensfall oder bei Reklamationen erklärt werden kann, warum eine Norm für Schaltgerätekombinationen nicht beachtet wurde. Was ist zum Beispiel, wenn die Schaltgerätekombination aufgrund einer Wiederholungsprüfung durch einen Sachverständigen des VDS geprüft wird? Auch dieser wird die aktuellen Normen zu Rate ziehen und deren Einhaltung prüfen bzw. fordern. Wichtig ist auch die Beachtung der evtl. vorhandenen örtlichen Vorschriften. Hier können z.B. in einzelnen Ländern oder Regionen besondere Vorschriften gelten. Unter anderem sind hier die TABs der Energieversorgungsunternehmen zu beachten. Harmonisierte Normen erreichen teilweise auch durch andere Rechtsvorschriften eine Erfüllungspflicht. Hier sind unter anderem das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG), das EMV-Gesetz, das Arbeitsschutzgesetz sowie die Betriebssicherheitsverordnung zu erwähnen.

Fazit

Eine Schaltgerätekombination, die in der EU in den Verkehr gebracht wird, ist vorbehaltlich sonstiger Rechtsvorschriften nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu bauen und zu prüfen. Die Anwendung harmonisierter Normen lässt vermuten, dass alle Richtlinien eingehalten wurden. n Keine Angst vor der DIN EN61439

Vieles, was in der Norm gefordert wird, wurde auch in der Vergangenheit durch den Planer bzw. Schaltschrankbauer ausgeführt. Wesentlicher Zusatzaufwand ist jedoch die zusätzlich geforderte Dokumentation. Ziel der Norm ist die Festlegung von Begriffen sowie die Vorgabe von Betriebsbedingungen, Bauanforderungen, technischen Eigenschaften und Anforderungen für erforderliche Nachweise. Wesentliche Neuerungen sind:
  • • klare Definition der Zuständigkeiten und Verantwortungen
  • • Bemessung und Beschreibung der externen Schnittstellen ‚Black Box‘
  • • konstruktive und funktionale Anforderungen sind eindeutig beschrieben und festgelegt
  • • 100-Prozent-Prüfung gefordert durch Bauart- und Stücknachweis. (TSK und ‚teilweise Prüfung‘ durch PTSK entfallen)
  • • für einige der Nachweise sind alternative, aber gleichwertige Methoden möglich: Prüfung – Vergleich – Begutachtung
  • • Austausch von Schaltgeräten verschiedener Hersteller ist nicht zulässig, es muss jeweils ein neuer, separater Nachweis erfolgen.
  • • Die maximale Erwärmung darf nur noch für SK mit einem Bemessungsstrom bis 1.600A berechnet werden. Dabei dürfen Schaltgeräte und Leiterquerschnitte nur mit 80 Prozent des Bemessungsstroms ausgelegt werden. Für Schaltanlagen mit einem Bemessungsstrom über 1.600A muss der Nachweis der Erwärmung durch Prüfung erfolgen.
  • • Leergehäuse (nach IEC62208) wurden aufgenommen
  • • Forderung der Dokumentation Praktische Umsetzung der DIN EN61439
Eine Niederspannungs-Schaltgerätekombination wird durch die Definition der Schnittstellenparameter als Black-Box-Modell durch den Anwender oder Planer beschrieben. Der Hersteller hat aufgrund der Schnittstellenparameter den Ausbau der Niederspannungs-Schaltgerätekombination zu dimensionieren und zu definieren. Die IEC/TR 61439-0 (EN61439-1 Bbl 1) liefert praktische Hilfestellungen zur Schnittstellendefinition. Der Bauartnachweis dient zum Nachweis der Übereinstimmung der Bauart der Schaltgerätekombination oder des Schaltgerätekombinationssystems mit den Anforderungen der Normen-Reihe EN61439. Die vollständige und detaillierte Dokumentation der einzelnen Bauartnachweise für die vom ursprünglichen Hersteller entwickelte Schaltgerätekombination inklusive aller Prüfberichte und Protokolle ist durch den ursprünglichen Hersteller zu erstellen. Für die Bestätigung des Bauartnachweises gegenüber dem Hersteller einer Schaltanlage oder einem Anwender ist die Weitergabe dieser ausführlichen Dokumentation nicht erforderlich. Hierfür kann eine Zusammenfassung der durch die Schaltgerätekombination erfüllten Eigenschaften verwendet werden. Diese Zusammenfassung des Bauartnachweises sollte jedoch je Einzelnachweis die gewählte Nachweismethode und die bestätigten Bemessungsangaben beinhalten. Die unterschiedlichen Nachweise bestätigen, dass die zusammengefügten Komponenten einer Schaltgerätekombination miteinander sicher funktionieren. Daher sind bei einigen Nachweisen auch Prüfungen oder Vergleiche erforderlich, die nur durch Nachweis der Kombination verschiedener Produkte (z.B. Frequenzumrichter im Gehäuse eingebaut) erbracht werden können. Die Prüfung einzelner Geräte oder Komponenten ersetzen nicht die Nachweise des Bauartnachweis. Der Stücknachweis einer Schaltgerätekombination dient zur Feststellung von Materialfehlern oder Fertigungsfehlern während der Herstellung einer Schaltgerätekombination. Jede Schaltgerätekombination, die in Verkehr gebracht werden soll, muss durch einen Stücknachweis in ihrer Funktion und Sicherheit bestätigt werden. Das Ergebnis der Überprüfungen für den Stücknachweis wird in einem Protokoll festgehalten. Normaufbau der DIN EN61439Wichtige Begriffe sind:

Niederspannungs-Schaltgerätekombination

Zusammenfassung eines oder mehrerer Niederspannungsschaltgeräte mit zugehörigen Betriebsmitteln zum Steuern, Messen, Melden, Schützen und Regeln, mit allen inneren elektrischen und mechanischen Verbindungen und Konstruktionsteilen

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.1.1)

Schaltgerätekombinationssystem

komplettes Angebot mechanischer und elektrischer Komponenten (Gehäuse, Sammelschienen, Funktionseinheiten usw.) nach Definition des ursprünglichen Herstellers, die in Übereinstimmung mit den Anleitungen des ursprünglichen Herstellers zu unterschiedlichen Schaltgerätekombinationen zusammengebaut werden können

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.1.2)

Bauartnachweis

Nachweis an Mustern einer Schaltgerätekombination oder an Teilen von Schaltgerätekombinationen, um zu zeigen, dass die Bauart die Anforderungen der zutreffenden Schaltgerätekombinationsnorm erfüllt.

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.9.1)

Stücknachweis

Nachweis, dem jede Schaltgerätekombination während und/oder nach ihrer Herstellung unterworfen wird, um sicherzustellen, dass sie den Anforderungen der zutreffenden Schaltgerätekombinationsnorm entspricht

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.9.2)

ursprünglicher Hersteller

Organisation, die die ursprüngliche Konstruktion und den zugehörigen Nachweis der Schaltgerätekombination nach der zutreffenden Schaltgerätekombinationsnorm durchgeführt hat

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.10.1)

Hersteller der Schaltgerätekombination

Organisation, die die Verantwortung für die fertige Schaltgerätekombination übernimmt

ANMERKUNG Der Hersteller der Schaltgerätekombination darf eine andere Organisation als der ursprüngliche Hersteller sein.

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.10.2)

Anwender

Beteiligter, der die Schaltgerätekombination spezifizieren, kaufen, verwenden und/oder betreiben wird, oder jemand, der in seinem Auftrag handelt

(Zitat DIN EN61439-1 Abs. 3.10.3)

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