Zurück in die Zukunft

Direkte Nutzung regenerativer Energie & Aufbau eines Gleichstromnetzes

Zurück in die Zukunft

Zahlreiche Anwendungen in der Industrie benötigen Gleichstrom. Infolge der zunehmend strengeren Regelungen für die Senkung des Stromverbrauchs liegt es nahe, Wandlungsprozesse von Wechselstrom aus dem Netz zu Gleichstrom für die Geräte zu vermeiden. Dies gelingt durch die direkte Nutzung von PV- und Windstrom und durch den Aufbau eines Gleichstromnetzes parallel zum Wechselstromnetz.

 Strom aus erneuerbaren Energiequellen kann Gleichstromanwendungen in der Industrie nahezu verlustfrei zur Verfügung gestellt werden. (Bild: Socomec GmbH)

Bild 1 | Strom aus erneuerbaren Energiequellen kann Gleichstromanwendungen in der Industrie nahezu verlustfrei zur Verfügung gestellt werden. (Bild: Socomec GmbH)

Die Weichen dafür, dass die Stromnetze uns heute mit Wechselstrom versorgen, wurden mit dem Ausgang des Stromkriegs um 1890 gestellt. Wer ihn nicht kennt, kann die entscheidenden Etappen der mit aller Härte und allen Tricks geführten Auseinandersetzung um Gleichstrom und Wechselstrom zwischen Thomas A. Edison auf der einen und George Westinghouse und Nikola Tesla auf der anderen Seite in dem Roman ‚Die letzten Tage der Nacht‘ von Graham Moore nachlesen. Seinerzeit war Gleichstrom gefährlich und konnte nicht über längere Strecken transportiert werden, und so mündete die Auseinandersetzung bekanntermaßen in den Siegeszug des Wechselstroms. Dennoch wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gleichstromprojekte realisiert. So wurde die Straßenbahn in Lyon ab 1906 mit Gleichstrom direkt von einem Wasserkraftwerk nahe der etwa 150km entfernten Stadt Moûtiers versorgt. In einigen Ländern werden nicht nur Straßen- und U-Bahnen, sondern historisch bedingt auch das Zugnetz bis auf den heutigen Tag mit Gleichstrom betrieben.

Gleichstrom für immer mehr Systeme

Nahezu 130 Jahre nach dem Stromkrieg ist der Gleichstrom weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, obwohl elektronische Komponenten und viele andere Systeme und Anwendungen mit Gleichstrom arbeiten und ihre Zahl mit der Digitalisierung von immer mehr Lebens- und Arbeitsbereichen fortlaufend zunimmt. Gleichstrom bewegt: mittels Schrittmotoren beispielsweise industrielle Roboter in der Montage, Positionierungssysteme in Werkzeugmaschinen, Lüftungsklappen in Fahrzeugen, Walzen in Druckern. Dazu arbeiten Serverparks, Büro- und Produktionsrechner, Mobiltelefone mit Gleichstrom sowie zahlreiche weitere Anwendungen im Consumer-Bereich. Für die Versorgung dieser Systeme muss der Wechselstrom aus dem zentralen Netz mittels Komponenten wie Netzteilen und Transformatoren in Gleichstrom umgewandelt werden. Die Wandlungsprozesse selbst sind pure Energieverschwendung. Jeder Wandlungsprozess verbraucht Strom, die Verlustleistung wird als Wärme abgegeben. Diese wiederum wird, ebenfalls unter Stromverbrauch, in zahlreichen Anwendungen wieder gekühlt, wobei teilweise ebenfalls wieder Wechselstrom zu Gleichstrom gewandelt werden muss.

Energiesparen ist Pflicht

Laut den vorläufigen Angaben von Statista betrug im Jahr 2016 der Nettostromverbrauch in Deutschland rund 525 Terawatt-Stunden. Fast die Hälfte davon, 47 Prozent, entfiel auf die Industrie. Erderwärmung, Klimaveränderung, Umweltverschmutzung und Einsicht in die Endlichkeit der fossilen Energieträger, die für die Stromgewinnung eingesetzt werden, haben im Wesentlichen zwei Tendenzen ausgelöst: die Suche nach alternativen Erzeugungsmöglichkeiten für Energie sowie die Etablierung nationaler und übernationaler Richtlinien, Gesetze und Normen, die dazu beitragen sollen, den Verbrauch von Primärenergie in der Industrie zu senken. In der EU trat zu diesem Zweck Ende 2012 die EU-Energieeffizienz-Richtlinie (Energy Efficiency Directive, EED) in Kraft. In Deutschland wurde sie als Energiedienstleistungsgesetz (EDL-G) in nationales Recht umgesetzt. Seit April 2015 müssen sich alle Unternehmen, die keine KMU sind, regelmäßigen Energieaudits nach EN 16247-1 unterziehen oder Umweltmanagement nach EMAS oder Energiemanagement nach ISO50001 betreiben. Seit Oktober 2017 reicht es nach der neuen Norm ISO50003 nicht mehr aus, dass im Unternehmen ein funktionsfähiges Energiemanagement eingerichtet ist, es muss darüber hinaus seine Wirksamkeit, sprich die Reduktion des Verbrauches nachgewiesen werden.

 Speicherlösungen wie Sunsys Xtend ESS von Socomec ermöglichen die Versorgung von DC-Lasten ohne Wandlungsverluste. (Bild: Socomec GmbH)

Bild 2 | Speicherlösungen wie Sunsys Xtend ESS von Socomec ermöglichen die Versorgung von DC-Lasten ohne Wandlungsverluste. (Bild: Socomec GmbH)

Schrumpfender Spielraum für Optimierungen

Allerdings werden Verbrauchsreduktionen durch optimierte Prozesse und Verbesserungen an der Technik von Systemen und Maschinen irgendwann ausgereizt sein. Bei der unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) von Rechenzentren ist dieser Punkt so gut wie erreicht. Die Technologie ist ausgereift, Verbesserungen in den vergangenen Jahren brachten allenfalls noch Punkte hinterm Komma. Damit weitere Einsparungen zu erzielen sind, muss sich auf Dauer die Herangehensweise an die Stromversorgung generell ändern, wenn die Wirtschaft ihre Leistungsfähigkeit unter der Verpflichtung zum Energiesparen weiter ausbauen will. Da beim Stromverbrauch in der Industrie der überwiegende Teil auf den Betrieb von Elektromotoren entfällt, lässt sich mit Einsparungen durch Gleichstromversorgung klotzen statt kleckern. Fachleute beziffern das Sparpotenzial auf 10 Prozent und mehr.

Gleichstrom in der Projektphase

Inzwischen haben sich auch die technischen Grundlagen für den Aufbau und Betrieb von Gleichstromnetzen weiterentwickelt. Seit der Zeit von Edison und Westinghouse sorgen Transformatoren dafür, dass Wechselstrom auf das für eine verlustarme Übertragung erforderliche Spannungsniveau gebracht wird, während Gleichstrom damals an dieser Hürde scheiterte. Heute kann mittels leistungsfähigen, verlustarmen Gleichspannungs-Umsetzern auch Gleichstrom kostengünstig über große Entfernungen übertragen werden. In China werden seit Jahren Netze mit Hochspannungs-Gleichstromübertragung gebaut und betrieben, um die Energie von den Wasserkraftwerken im Landesinneren zu den Ballungsräumen an den Küsten zu transportieren, übrigens mit Know-how und Komponenten europäischer, auch deutscher Provenienz. In Deutschland sind Gleichstrom-Trassen in Planung, damit Strom von den Windparks an den Küsten die Industrieregionen im Binnenland versorgen kann. Trotz des verfügbaren Know-hows und dem Umstand, dass in den meisten Geräten Gleichstrom-Komponenten stecken, begrenzen fehlende Infrastruktur und fehlende Normen die Verwendung von Gleichstrom in der Industrie; so werden in aktuellen Anwendungen 380V, 400V oder auch 650V verwendet. Derzeit steckt die Nutzung noch mehrheitlich im Projektstatus. Zu den Vorreitern gehört die Automobilindustrie mit Pilotprojekten, die ganze Fertigungsstränge mit Gleichstrom versorgen. Der Industrieverband ZVEI stellte im Jahr 2017 zusammen mit Unternehmen und Forschungsinstituten das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt ‚DC-Industrie‘ im Gesamtvolumen von rund zehn Millionen Euro auf die Beine.

 (Bild: Socomec GmbH)

(Bild: Socomec GmbH)

Wachstum bei Erzeugung und Speicherung

Zudem begünstigt ein Umdenken bei der Energieerzeugung den Einsatz von Gleichstrom. Neben den großen Offshore-Windparks entstehen zunehmend dezentrale Erzeugerstationen für Strom aus Wind oder Sonne. Dafür geraten zunehmend Flächen in den Fokus, die für andere Nutzungen wenig attraktiv sind wie Flächen an Autobahnen und Flughäfen oder auf Dächern in Industrie- und Gewerbegebieten. Mit steigendem Strompreis, sinkender Einspeisevergütung und sinkenden Speicherkosten nimmt der Eigenverbrauch an Attraktivität zu. Auch die Elektromobilität kann in diesem Umfeld zu einem DC-Treiber werden. Die Batterien werden mit Gleichstrom geladen, zu Hause, am Arbeitsort oder unterwegs. In Zeiten, in denen das Fahrzeug regelmäßig nicht benötigt wird, könnte diese als Energiequelle dienen. Den Nutzern spielt dabei in die Hände, dass PV- und Windkraftanlagen Gleichstrom produzieren. Für die Speicherung und die Versorgung von DC-Lasten kommt er ohne Wandlung und den damit verbundenen Energieverlust aus, während er für die Einspeisung in das übergeordnete Netz unter Verlusten in Wechselstrom umgewandelt werden muss. Darüber hinaus lassen sich Einsparungen durch den Wegfall der Wandler-Komponenten erzielen. Weniger Komponenten bedeutet aber auch, dass die Zahl der Fehlerquellen sinkt und damit die Gefahr von Ausfällen und Unterbrechungen in der Versorgung. Ein weiterer Vorteil der Gleichstromversorgung ist die Möglichkeit, Bremsenergie von Anlagen zurück zu speichern. Zudem ist kein Phasenausgleich bzw. die Herstellung der Phasensymmetrie erforderlich. Unerwünschte Oberschwingungen, die Endgeräte und Verbraucher stören, Wärmeverluste erhöhen und Ladeprozesse beeinflussen, treten nicht auf.

Zwei Stromarten, viele Vorteile

Dennoch wird Wechselstrom künftig nicht der Vergangenheit angehören. Der Ersatz des Wechselstroms durch Gleichstrom verschöbe lediglich das Problem der Wandlung und reduzierte den Energieverbrauch nicht. Der Aufbau einer zweiten, parallelen Infrastruktur für Gleichstrom erscheint daher als der realistischere Ansatz. Dieser Aufbau verursacht zunächst einmal hohe Kosten. Mit der Zunahme dezentraler Gleichstromerzeugung könnten sich diese Investitionen jedoch nicht nur lohnen, sondern unumgänglich sein, da Strom aus Sonne und Wind eine Speicherinfrastruktur erforderlich macht, die ebenfalls auf Gleichstrom beruht. Damit kann nach und nach ein zuverlässiges und hocheffizientes Gleichstromnetz parallel zum Wechselstromnetz aufgebaut werden. Unternehmen haben dann die Wahl, den für ihre Anwendung besser geeigneten Strom zu verwenden. Die Anbieter elektrotechnischer Komponenten richten sich bereits auf diese Entwicklung ein und erweitern ihr Angebot. So baut Socomec ein Geschäftsfeld für Gleichstrom in Gebäude, Industrie und Rechenzentrum auf. Die Energiemesslösung Diris Digiware beispielsweise ist in der Lage, in einem Messsystem DC- und AC-Messungen zu integrieren. Zum DC-Portfolio des Herstellers gehören zudem Schalttechnologien bis 1500V DC mit Auslösefunktion sowie Energiespeichersysteme für Smart Building und Smart Grid.

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