„Transparenz herstellen“

Interview mit Andreas Matthé,
CEO Low Voltage & Products bei Siemens

„Transparenz herstellen“

Auf den diesjährigen beiden großen Frühjahrsmessen in Frankfurt und Hannover stellte Siemens zahlreiche neue Hardware- und Software-Lösungen auf dem Weg in die digtale Zukunft vor. Auf der Light+Building unterhielt sich SCHALTSCHRANKBAU-Redakteur Jürgen Wirtz mit Andreas Matthé, CEO Business Unit Low Voltage and Products in der Division Energy Management, über die Möglichkeiten für Schaltanlagenbauer, diese Lösungen zum Vorteil ihrer Kunden, aber auch zur Stärkung der eigenen Wettbewerbsstellung einzusetzen.

 Für die Schaltanlage Sivacon S8 bietet Siemens jetzt einen Störlichtbogenschutz von Dehn. Im links Andreas Matthé, CEO Siemens Low Voltage & Products und rechts Dr. Philipp Dehn, Geschäftsführer Dehn+Söhne. (Bild: Siemens AG)

Bild 1 | Für die Schaltanlage Sivacon S8 bietet Siemens jetzt einen Störlichtbogenschutz von Dehn. Im Bild links Andreas Matthé, CEO Siemens Low Voltage & Products und rechts Dr. Philipp Dehn, Geschäftsführer Dehn+Söhne. (Bild: Siemens AG)

Herr Matthé, die Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudebereich ist zur Erreichung der CO2 Einsparziele bis 2050 eine der Hauptmaßnahmen zur Verringerung der Energie- und Umweltprobleme. Die gesetzliche Grundlage für die Energieeffizienz in Gebäuden ist die europäische Gebäuderichtlinie (EPBD), die im Laufe des Jahres 2018 in ihrer runderneuerten Fassung veröffentlicht wird. Danach erfolgt die Umsetzung in nationales Recht. Wie können Schaltanlagenbauer dazu beitragen, dass diese Ziele erreicht werden?

Andreas Matthé: Die wichtigste Voraussetzung, um Energieeffizienz erzielen zu können, ist zunächst einmal die Schaffung von Transparenz. Schaltanlagenbauer sind natürlich ein wesentlicher Bestandteil, wenn es darum geht, elektrische Infrastruktur in Gebäuden oder anderen Infrastruktureinrichtungen aufzubauen. Somit bietet sich für Schaltanlagenbauer die Gelegenheit, diese Transparenz zu erzeugen, indem sie neueste verfügbare Komponenten in ihre Schaltanlagen als Bestandteil ihrer Kundenlösung einbinden. Auf diese Weise wird die Basis geschaffen, um energieeffizient arbeiten zu können. Wir eröffnen Schaltanlagenbauern die Möglichkeit, ihr Portfolio zu erweitern, indem sie Energiemonitoring, -erfassung und -management in ihre Schaltanlagen integrieren. Dies kann z.B. über stationäre Lösungen wie Hardware-Komponenten aus dem Sentron-Portfolio erfolgen, die eine Optimierung auf der Schaltanlagenebene herbeiführen. In einem nächsten Schritt können die erhobenen Daten eine Ebene höher in entsprechende Gebäudemanagementsysteme bzw. weiter in eine Cloud-Lösung wie MindSphere transportiert werden. Die gewonnenen Daten erzeugen dann die gewünschte Transparenz und ermöglichen eine fundierte Analyse des Ist-Zustandes. Über die in unsere IoT-Plattform MindSphere eingebundenen Apps können dann wiederum Optimierungsvorschläge zum Betreiber einer Anlage oder eines Gebäudes übermittelt werden.

Bild: Siemens AG

Bild 2 | Jetzt neu im Portfolio: die kompakten Energiezähler 7KT PAC1600 für den Einsatz in Energie- und Installationsverteilern. (Bild: Siemens AG)

Welche Hard- und Software-Lösungen aber auch Dienstleistungen bietet Siemens den Schaltschrankbauern konkret in diesem Zusammenhang?

Matthé: Für die Schaltanlagenbauer haben wir verschiedene Lösungen, beispielsweise unsere Mess- und Analysegeräte 7KM PAC aus dem Sentron Portfolio. Diese Geräte mit oder ohne MID-Zertifizierung, die auf Hutschienen in den Schaltschrank eingebaut werden können, übermitteln die Daten in ein schaltanlagennahes Power Management System. Oder über entsprechende Kommunikationsschnittstellen wie Profibus, Modbus, Ethernet etc. in die nächste Ebene der Gebäude- oder Industrieanlagenautomatisierung, um eine höhere Energieeffizienz zu erzielen.

 Siemens präsentierte auf der Light+Building 2018 einen Brandschutzschalter (AFDD) mit integriertem Leitungsschutz in einer Teilungseinheit (TE). (Bild: Siemens AG)

Bild 3 | Siemens präsentierte auf der Light+Building 2018 einen Brandschutzschalter (AFDD) mit integriertem Leitungsschutz in einer Teilungseinheit (TE). (Bild: Siemens AG)

Das heißt mit Ihren Lösungen kann der Schaltanlagenbauer sein Leistungsportfolio auch in Richtung Services erweitern ?

Matthé: Genau. Einerseits kann der Schaltanlagenbauer sein Lieferspektrum hardwareseitig erweitern, indem er das Power Monitoring mit seiner Anlage anbietet. Andererseits kann er aber auch entsprechende Dienstleistungen offerieren, indem er die Energieverbräuche seiner Kunden überwacht, analysiert und diesen dann entsprechende Handlungsempfehlungen an die Hand gibt. Ein Beispiel: Wenn in einem Gebäude unterschiedliche Klimaanlagen betrieben werden und in einer dieser Anlagen die Energieverbräuche deutlich von den übrigen nach oben abweichen, kann der Schaltanlagenbauer mit einem entsprechenden Analysetool eruieren, ob und wo eine Störung vorliegt. Oder er stellt fest, dass in einem Industriebetrieb das Werkstor ständig geöffnet ist, die warme Luft entweicht und dadurch sehr hohe Energieverbräuche entstehen. Solche Schwachstellen in Prozessen können heute problemlos aufgedeckt werden. Auf diese Weise lassen sich am Ende natürlich Einsparpotenziale im Gebäudebetrieb erzielen. So könnten sich Schaltanlagenbauer durchaus in Richtung Energieberatung bewegen.

Die gerade beschriebenen Lösungen dienen in erster Linie dazu, dass der Anlagenbauer seinen Kunden, z.B. den Maschinenbauern und schließlich den Endanwendern einen Mehrwert bieten kann. Welche Tipps geben Sie ihm, damit er die Möglichkeiten, die ihm die Digitalisierung bietet, zur Optimierung seiner eigenen Wertschöpfungskette und Betriebsabläufe nutzen kann, unabhängig von der Firmengröße?

Matthé: Hier greift unser Simaris-Unterstützungsprozess mit seinen unterschiedlichen Simaris-Tools. Mit diesen kann der Schaltanlagenbauer die Schaltanlage so spezifizieren, dass diese den Kundenanforderungen optimal gerecht wird, sowohl im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der verbauten Hardware, als auch bezüglich der Kompaktheit des Designs der Schaltanlage insgesamt. Denn Platz kostet immer auch Geld und gerade in Gebäudeanwendungen möchten Betreiber möglichst viel Fläche zur Vermietung und nicht zum Aufstellen der Schaltanlage nutzen. Auch der Bestellprozess wird durch die optimierte Planung erheblich erleichtert und stabilisiert die gesamte Lieferkette für den Schaltanlagenbauer. Hinzu kommt, dass in Simaris die entsprechenden Normen und Designvorschriften für eine Schaltanlage hinterlegt sind. All dies sind digitale Tools, die dem Anlagenbauer dabei helfen, seine innerbetrieblichen Abläufe zu optimieren.

Kommen wir einen Augenblick auf Ihr Cloud-basiertes, offenes IoT-Betriebssystem MindSphere zu sprechen. Hier hat sich vor kurzem eine Anwenderorganisation gegründet, die bislang rund 20 Unternehmen umfasst, die u.a. auch Komponenten und Systeme für den Schaltschrankbau anbieten. Wie kann der Schaltanlagenbauer konkret von dieser Plattform profitieren und sich möglicherweise sogar selber einbringen?

Bild: Siemens AG

Bild 4 | Wie viel Energie wird aufgewendet pro Tätigkeit? Mit MindSphere, dem offenen IoT-Betriebssytem von Siemens, mit denen Anwender die Vorteile Cloud-basierter Services nutzen und Mehrwert generieren können, lässt sich das schnell und einfach eruieren. (Bild: Siemens AG)

Matthé: Für Siemens ist MindSphere die IoT-Plattform schlechthin. Ihr Vorteil liegt darin begründet, dass hier nicht nur Daten und Messwerte elektrischer Geräte vorhanden sind, sondern auch eine Vielzahl an Prozessdaten. Dies sind Werte, die sich aus dem Betrieb eines Gebäudes oder eine Fertigungslinie ergeben oder Daten aus unterschiedlichen Gewerken wie Energieversorgung, Heizung, Lüftung, Klima, Security, Zugangskontrolle, usw. Auf der MindSphere-Plattform lassen sich all diese Daten zusammenfassen und Strategien sowie Hilfsmittel entwickeln, wie die Herausforderungen des Anwenders hinsichtlich mehr Wirtschaftlichkeit adressiert werden können. Mit unserem MindSphere Application Center bieten wir zudem eine Plattform, auf der wir Kunden mit unseren IT- und Produktexperten zusammenbringen, um Probleme zu erörtern. Dies funktioniert aber nur in der Kooperation aller Beteiligten. MindSphere ist die Plattform und das MindSphere Application Center das Forum, um diese wichtigen Kompetenzen zusammenzubringen und zu ermitteln, wie aus den vorhandenen Daten sinnvolle Lösungen, beispielsweise in Form von Apps, entwickelt werden können, die am Ende dem Kunden einen Nutzen bringen. Dieser Nutzen muss sich in Qualität, Performance und reduzierten Kosten widerspiegeln.

 Das Messsystem SEM3 wird in der Energie-Hauptverteilung eingesetzt und besteht aus Stromwandlern, Messmodulen und einem zentralen Controller. Das skalierbare Komplettsystem kann bis zu 45 Messpunkte im Gebäude erfassen. (Bild: Siemens AG)

Bild 5 | Das Messsystem SEM3 wird in der Energie-Hauptverteilung eingesetzt und besteht aus Stromwandlern, Messmodulen und einem zentralen Controller. Das skalierbare Komplettsystem kann bis zu 45 Messpunkte im Gebäude erfassen. (Bild: Siemens AG)

Wäre es theoretisch auch möglich, dass ein Schaltanlagenbauer selber eine App in MindSphere einbringt?

Matthé: Ja, selbstverständlich. MindSphere ist die Plattform für die Daten und natürlich wird Siemens eigene Anwendungen entwickeln. Aber diese Möglichkeit haben auch Kunden oder Dritte, die dies im Auftrag des Kunden tun. Daraus lassen sich dann wiederum neue Geschäftsmodelle generieren.

Mittlerweile steht eine Unmenge an digitalisierten Produktdaten der unterschiedlichsten Hersteller zur Verfügung und es gibt eine beträchtliche Anzahl an intelligenten Engineeringtools, um diese Daten zu verarbeiten und in effiziente Prozesse zu überführen. Auf der anderen Seite hat eine kürzlich veröffentlichte Studie des ISW der Universität Stuttgart ergeben, dass ein durchschnittlicher Stromlaufplan rund 320 gedruckte Seiten umfasst und die Verdrahtungszeit auf dieser Basis immer noch knapp 50 Prozent der gesamten Fertigungszeit eines Schaltschranks einnimmt. Wann wird nach Ihrer Ansicht dieser riesige Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit geschlossen sein?

Matthé: Eine interessante Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Die Digitalisierung führt dazu, dass der gesamte Datenfluss durchgängiger wird. Dies beginnt bei unseren Kunden mit der digitalen Unterstützung bei der Planung und dem Design von Schaltanlagen und fließt dann möglicherweise auch weiter in automatisierte Verdrahtungssysteme, die es heute ja schon am Markt gibt. Insgesamt glaube ich, dass auch in diesem Bereich die Möglichkeiten der Digitalisierung rasch gelebt und angewandt werden, auch wenn dies vielerorts im Moment noch nicht danach aussieht. Die Vorteile, die sich durch die Digitalisierung ergeben – die Durchgängigkeit von der Planung, über die Fertigung, bis hin zur Auslieferung -, werden derart überwiegen, dass dies zu einer hohen Akzeptanz führen wird. Einen genauen Zeitpunkt für einen Durchbruch zu nennen, ist allerdings sehr schwierig. Für Siemens ist es auf jeden Fall wichtig, dass wir hier eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen, um mit den vorhandenen Tools wie Simaris oder einer Plattform wie MindSphere uns und unseren Partnern und Kunden neue Geschäftspotenziale zu erschließen.

Wie sehen die weiteren Entwicklungen im Bereich der Energieverteilung bei Siemens aus? Wird es eher darum gehen, Hardware-Lösungen zu optimieren, indem man diese beispielsweise noch kommunikationsfähiger macht, oder werden sich die nächsten Entwicklungen eher um die Ausweitung einer Engineering- und Software-Infrastruktur drehen?

Matthé: Wir werden die Entwicklungen auf beiden Ebenen vorantreiben. Wir werden weiterhin unsere Produkte – ob dies nun Schalter, Mess- oder Energieerfassungsgeräte sind – optimieren und den Kundenanforderungen noch besser anpassen. Zudem werden wir auch die Entwicklung in Richtung einer verbesserten Kommunikation weiter vorantreiben, da dies überhaupt erst der Enabler für die Digitalisierung ist. Aus diesen digitalen Daten und Prozessen werden sich dann weitere Anwendungs-Tools in Form von Softwarelösungen ergeben, so dass diese beiden Bereiche mehr und mehr zusammenwachsen.

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