Die Anwendung ist bindend!

Niederspannungsrichtlinie EN61439 mit Fokus auf Energie-Schaltgerätekombinationen und Installationsverteiler

Die Anwendung ist bindend!

Die Einführung und Umsetzung der Norm EN61439 führt oftmals zu berechtigtem Klärungsbedarf. Der Fachbeitrag beantwortet u.a. Fragestellungen hinsichtlich Begrifflichkeiten, Rechtsrahmen und zentraler Aspekte in Bezug auf die Anwendung der Norm.
Die Norm EN61439 ist konsequent strukturiert und basiert, wie alle produktspezifischen Normen, auf der Grundnorm EN61439-1, in der die allgemeinen Anforderungen festgelegt sind. Alle weiteren produktspezifischen Normen beinhalten ausschließlich Abweichungen von der Grundnorm. Zum Überblick sind diese hier aufgeführt:

  • • EN 61439-1: Allgemeine Anforderun gen
  • • EN 61439-2: Energie-Schaltgeräte kombinationen
  • • EN 61439-3: Installationsverteiler
  • • EN 61439-4: Baustromverteiler
  • • EN 61439-5: Kabelverteilerschränke
  • • EN 61439-6: Schienenverteiler
  • • EN 61439-7: Schaltgerätekombinatio nen für Plätze wie Marinas, Camping plätze

Ergänzend hierzu gibt es für Planer einen Leitfaden (keine Norm) zur Definition von Spezifikationen von Schaltgerätekombinationen (DIN EN61439-1 VDE0660-600-1 Beiblatt 1).

Rechtlicher Rahmen

Das Vermarktungsrecht der EU fordert die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien. Diese umfassen auch die Niederspannungsrichtlinie, die auch eine Auflistung der zur Anwendung in Frage kommenden Normen beinhaltet. Im Einzelnen ist anzuführen, dass elektrische Betriebsmittel mit einer Bemessungsspannung von 50 bis 1.000V für Wechselstrom und 75 bis 1.500V für Gleichstrom der Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU unterliegen.

Die Norm ist eine Empfehlung, jedoch keine Verpflichtung. Ist das korrekt?

Rein formal ist das nicht falsch. Dennoch ist die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie bindend. Produkte, die Konformität mit einer Norm versprechen, müssen sie auch einhalten. So, wie auch andere versprochene Funktionen und Eigenschaften nachweisbar einzuhalten sind. In der Praxis bedeutet das: Der Markt wird durch die Nachfrage nach normenkonformen Produkten bestimmt. Die Anwendung der Norm sieht in der Niederspannungsrichtlinie die Konformitätsvermutung vor. Das heißt konkret: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass durch die Anwendung der Norm den Anforderungen der Niederspannungsrichtlinie entsprochen wird. Die entsprechenden Normen sind im Amtsblatt der Europäischen Union 2014/C 149/03 veröffentlicht. Anders verhält es sich bei Nicht-Anwendung der Norm: Hier muss der Hersteller nachweisen, dass sein Produkt allen Anforderungen der Richtlinie entspricht. Das ist für den Hersteller mit Sicherheit ein risikoreicherer und teurerer Weg.

Wie verhält es sich mit Maschinensteuerungen?

Maschinensteuerungen oder die Energieversorgungen (z.B. Klemmenkästen) für Maschinen sind nicht durch die Maschinenrichtlinie abgedeckt. Die Maschinenrichtlinie verweist eindeutig auf die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie. Somit ist hier die Norm EN61439 anzuwenden.

Das ‚Black Box Konzept‘

Verbände und Hersteller erwähnen in ihren Veröffentlichungen oftmals das ‚Black Box Konzept‘. Dieser Begriff steht als solcher nicht in der Norm, doch begründet er sich in ihrem Sinn. Die in den jeweiligen Normteilen aufgeführten Tabellen ‚zwischen Hersteller und Anwender zu vereinbarende Punkte‘ legen die technischen Anforderungen an die Schaltanlage eindeutig und vergleichbar fest. Der Hersteller wird dadurch in die Lage versetzt, den Anforderungen mit seinen Mitteln so effektiv wie möglich zu entsprechen. Der Kunde erhält eine normenkonforme Anlage nach seinen Anforderungen.

Definition der Begriffe ‚Hersteller‘ und ‚ursprünglicher Hersteller‘

Vereinfacht dargestellt kann gesagt werden, dass der ursprüngliche Hersteller der Lizenzgeber und der Hersteller der Lizenznehmer ist. Das ist unabhängig davon, ob Lizenzgebühren gezahlt werden oder nicht. Der ursprüngliche Hersteller ist derjenige, der sein System zum weiteren Ausbau nach seinen Vorgaben einem Schaltschrankbauer (Hersteller) zur Verfügung stellt. Kurzum ist der Hersteller voll verantwortlich für die von ihm in den Markt gebrachte Schaltgerätekombination. Üblicherweise übernehmen die ursprünglichen Hersteller durch ihre Freigabe zur Herstellung ihres Systems durch den Hersteller wesentliche Teilverantwortung. Sie stellen Nachweise, Bauanweisungen, Zeichnungen etc. zur Verfügung. Doch Abweichungen von diesen Vorgaben sind im Sinne der Norm durch den Hersteller nachweispflichtig.

Zentrale Anforderungen: Bauart- und Stücknachweis

Der Bauartnachweis geht deutlich über die Anforderungen der früher üblichen Typprüfungs-Nachweise hinaus. Es reicht nicht aus, Bauartprüfungen zu machen und mit diesen die Produktpalette für konform zu erklären. Im Sinne der Norm und auch den Richtlinien ist der Hersteller (nicht der ursprüngliche Hersteller) in der Pflicht, für jede in Verkehr gebrachte Anlage einen anlagenbezogenen Bauartnachweis zu erstellen. Bauartnachweise lassen sich mit verschiedenen Verfahren – wie Prüfung, Berechnung, Konstruktionsregel – erstellen, doch verschiedene Kriterien lassen diese Verfahren nur eingeschränkt zu (Tabelle 1). Lizenznehmer von Systemen über 630A (InA) werden in der Regel von ihren Lizenzgebern mit Dokumentationen ausgestattet, die es erlauben, die Bauartnachweise durchgängig zu erstellen. Zur Herausforderung wird es hier erst, wenn Modifizierungen im System oder an Funktionseinheiten vorgenommen werden und hierfür ein Bauartnachweis erstellt werden muss. Hier wird der ursprüngliche Hersteller seitens seiner Schaltschrankbauer (Hersteller) gefordert, entweder bei der Bauartnachweisführung einzuspringen oder entsprechend detaillierte technische Informationen herauszugeben, sodass der Schaltschrankbauer in den Stand versetzt wird, den geforderten Bauartnachweis selbst zu führen (Bild 1). Für jede Schaltgerätekombination muss ein Stücknachweis erbracht werden. Beim Stücknachweis handelt es sich um die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und die Bestätigung, dass die Anlage frei von Werkstoff- und Fertigungsfehlern ist. Der Stücknachweis (Tabelle 2) weist zwei Kapitel aus, Kapitel ‚a)‘ Bauanforderungen und Kapitel ‚b)‘ Verhalten.

Müssen Schaltanlagen mit geringeren Strömen auch alle diese Nachweise führen?

Grundsätzlich muss hier mit ‚ja‘ geantwortet werden. Doch es gibt einige Erleichterungen. Die namhaften ursprünglichen Hersteller bieten ihren Schaltanlagenbauern für Anlagen bis 630A (InA) umfangreiche Hilfsmittel wie Leitfäden, Checklisten, und Formulare an, mit denen die Nachweisführung deutlich erleichtert wird. Auch hat der ZVEH (Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke) hierzu einen Leitfaden herausgegeben. Für Hersteller von Systemen bis 1.600A (InA), die nicht auf eine vollständige Nachweisführung zurückgreifen können, erlaubt die Norm für den Nachweis der Erwärmung auch eine Berechnungsmethode. Die Anwendung dieser Berechnungsmethode ist an Einschränkungen im Bau und in der Berechnungsart gebunden. Erfahrungsgemäß wirken sich die im Berechnungsverfahren enthaltenen Sicherheitszuschläge signifikant auf die Materialkosten aus.

Die Kurzschlussfestigkeit mit ihren Regeln

Der Nachweis der Kurzschlussfestigkeit basiert generell auf geprüften Funktionseinheiten. Für Ausführungsvarianten kann ein Nachweis durch Anwendung von Konstruktionsregeln geführt werden. Für Sammelschienen gibt es auch die Möglichkeit der Berechnung nach EN60865-1, jedoch nur auf der Grundlage geprüfter Varianten. Ausgenommen von einer solchen Nachweispflicht sind Schaltgerätekombinationen mit einer Bemessungskurzzeitstromfestigkeit von max. 10kAeff oder einem unbeeinflusstem Kurzschlussstrom von max. 17KA an den Einspeiseklemmen.

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