Neues Logistikkonzept für die Bahnindustrie
Leitungen schnell geliefert
In Schaltschränken von Zügen kommen Dutzende Kabeltypen zum Einsatz. Wird die Elektrik auf den letzten Drücker umgeplant – was eher die Regel als die Ausnahme ist – kann es zu monatelangen Verzögerungen kommen, weil die benötigten Leitungen erst produziert werden müssen. Die Lapp-Gruppe möchte dies mit einem neuen Logistikkonzept ändern.
Beleuchtung, Klimatisierung, Türen und sogar die Toiletten – Züge sind heute vollgestopft mit Elektrik, allerdings weitgehend unsichtbar für die Passagiere. Die Steuerzentralen für diese Funktionen befinden sich in den Schaltschränken. In Doppelstockwagen zum Beispiel unter den Treppen, in ICEs an den Wagenübergängen und neben den Toiletten, in Straßenbahnen aufgeteilt unter den Sitzen und in der Dachvoute, weitere zwei bis vier Schaltschränke gibt es in den Führerständen. Weil die Kommunikationsaufgaben stark gewachsen sind, z.B für die Anzeige der Haltestellen oder Werbung über Bildschirme, ist es üblich, die Schaltschränke für die Zugsteuerung und die Kommunikation zu trennen. Dennoch geht es in beiden eng zu, denn in üblichen Verteilerschränken stecken mehrere Kilometer Leitungen.
Mehr als 100 verschiedene Kabeltypen
Zählt man alle Kabeltypen zusammen, die zum oder im Schaltschrank verlegt werden, kommt man leicht auf eine dreistellige Zahl. Hier stecken die Konfektionäre, die im Auftrag der Zughersteller die Schaltschränke bestücken, in einem Dilemma. Alle Leitungstypen auf Lager zu halten, ist nahezu unmöglich. Das ist zum einen teuer, zum anderen ist gar nicht sicher, dass die Leitungen im Lager tatsächlich geeignet sind, wenn eine Funktion im Schaltschrank hinzukommt oder umgeplant wird. Das ist keineswegs die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel. Während mechanische Komponenten eines neuen Zuges langfristig geplant und nur selten im Lauf der Entwicklung verändert würden, werde die Elektrik oft noch auf den letzten Drücker umgeplant. Damit kommt ein langwieriger
Beschaffungsprozess in Gang. Die neue Anforderung teilt der Zughersteller an den Konfektionär mit. Der hat die dafür nötigen Kabel und Stecker aber in der Regel nicht auf Lager und bestellt diese bei den Herstellern nach. Die halten diese Teile aber meist auch nicht vorrätig, denn beim Bau von Zügen kommen ja nicht Unmengen von Leitungen zum Einsatz, bei manchen Kabeltypen braucht der Konfektionär vielleicht nur einige zehn Meter. Also muss der Kabelhersteller nachproduzieren, was aber wegen laufender Produktionspläne auch nicht sofort passiert. Deshalb betragen die Lieferzeiten für Verbindungssysteme in der Bahntechnik üblicherweise 14 Wochen. Und dann müssen sie ja noch in den Schaltschrank eingebaut werden. Das bedeutet: Umplanungen der Elektrik führen oft zu monatelangen Verzögerungen bei der Fertigstellung des Zuges.
Logistikkonzept aus dem Maschinenbau
Dass es auch anders geht, beweist die Lapp Gruppe mit ihrem Angebot an Leitungen speziell für die Bahnindustrie, das seit Kurzem auch in Europa erhältlich ist. Das Besondere sind indes weniger die Leitungen selbst – die entsprechen selbstverständlich allen einschlägigen Normen und Qualitätskriterien -, sondern das neue Logistikkonzept. Wobei neu hier nur auf die Bahnindustrie zutrifft, denn andere Branchen – etwa der Maschinenbau oder die Nutzfahrzeugindustrie – warten nicht 14 Wochen, bis sie ein Kabel bekommen. Dort ist es üblich, die wichtigsten Standardprodukte ständig ab Lager zu erhalten, diese werden oft schon innerhalb von 24 Stunden geliefert. Solche Lager hat Lapp in Europa ebenso wie in Nord- und Südamerika, Afrika und Asien, so dass die Lieferung spätestens nach ein paar Tagen beim Kunden ist – und das an fast jedem Ort der Welt.
Wenige Tage Lieferzeit
Für die europäische Bahnindustrie bedeutet das: Die Kunden erhalten die meisten Leitungen – darunter alle gängigen Typen wie Bus- und Koaxialkabel für die Datenübertragung sowie Leitungen für Steuersignale und Leistungsübertragung – aus dem Lager in Ludwigsburg bei Stuttgart innerhalb weniger Tage an jeden Ort Europas. Ordert der Kunde Spezialleitungen, die nicht auf Lager sind, werden diese im Werk in Seongnam in Südkorea gefertigt, wo sich auch das Kompetenzzentrum Train der Lapp Gruppe befindet. Selbst wenn Leitungen aus Südkorea geordert werden, sind sie auf dem Schiffsweg spätestens nach zehn Wochen beim Kunden und damit immer noch vier Wochen schneller als bei den heute üblichen Lieferzeiten anderer Lieferanten. In Seongnam stehen alle Einrichtungen für Produktion und Tests der Leitungen zur Verfügung, etwa eine Anlage zur Strahlenvernetzung. Sie beschießt das Kunststoffmaterial der Kabelmantel mit Elektronenstrahlen. Die Kunststoffmoleküle absorbieren die Energie der Strahlung und vernetzen sich, das Material wird so wesentlich widerstandsfähiger. Dadurch können die Kabel extreme Temperaturschwankungen zwischen minus 40 bis 120°C aushalten, ebenso wie besonders hohe mechanische Belastungen. Die Fertigungsstätte ist gemäß IRIS (International Rail Industry Standard) zertifiziert und arbeitet damit im Rahmen des internationalen Qualitätsmanagementsystems der Bahnindustrie. IRIS setzt auf ISO9001 auf und enthält zusätzliche bahnspezifische Anforderungen.
Keine Mindestbestellmengen
Wie in anderen Branchen liefert Lapp auch seine Leitungen für die Bahnindustrie ohne oder mit geringen Mindestbestellmengen, während andere Lieferanten Kabel nur trommelweise und in Kilometerlängen anbieten. Dann sind zwar die Preise pro Meter Kabel höher, dennoch sparen die Konfektionäre, weil sie nicht große Kabelmengen auf Lager legen müssen, die sie vielleicht nie mehr benötigen. Das Risiko, dass ein Kabel nicht vollständig abgenommen wird, trägt nun Lapp. Die Vorteile – geringere Kosten und kürzere Lieferzeiten – können die Konfektionäre an die Fahrzeughersteller weitergeben. Diese signalisieren großes Interesse an der beschleunigten Logistik, weil es ihnen etliche Wochen Zeitgewinn verschafft.