Teil 2: Schutzprüfung von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen
Der zweite Teil der Beitragsreihe ‚Anlagensicherheit auf dem Prüfstand‘ widmet sich den Vorgaben und Verfahren zur Prüfung der Schutzmaßnahmen in Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen. Ausgehend von den normativen Grundlagen und der damit verbundenen Hersteller-Verantwortung werden zentrale Prüfabläufe und Messmethoden dargestellt.
Beitragsreihe: Anlagensicherheit auf dem Prüfstand
Teil 1: Schutzmaßnahmen-Prüfungen für Windkraft- und PV-Anlagen
Erhöhte Anforderungen
In Industrie, Gewerbe und Gebäudetechnik gibt es von der Niederspannungshauptverteilung über Energieverteiler und -unterverteilungen, Schalt- und Steuerungsanlagen, Zähler- und Verteilerschränke bis zu Baustromverteilern und Kabelverteilerschränken verschiedenste Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen. Gerade im Bereich der Schalt- und Steuerungsanlagen für Maschinen, Prozesse und Anlagen sind meist applikationsspezifische Verteilerstationen erforderlich, so dass dort seltener auf standardisierte Systemlösungen zurückgegriffen werden kann. Damit erhöhen sich für den ausführenden Elektroinstallateur die Anforderungen an Konstruktion und Prüfung solcher Schaltgerätekombinationen:
Hier nämlich zeichnet er sowohl für Auswahl und Dimensionierung der installierten Betriebsmittel als auch für die innere Verdrahtung und die Anschlüsse der Zuleitungen und Kabel verantwortlich.
Normative Vorgaben
Die Rechtsgrundlage für die Betriebsmittel einer elektrischen Anlage bilden die Produktvorschriften. Sie schließen neben den allgemeinen Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) auch die Vorgaben der Niederspannungs- und gegebenenfalls der Maschinenrichtlinie ein. Der Geltungsbereich der seit April 2016 EU-weit wirksamen Niederspannungsrichtlinie erstreckt sich auf alle elektrischen Geräte, die für Nennspannungen zwischen 50 und 1000V AC bzw. 75 und 1500V DC ausgelegt sind. Hersteller oder Importeure solcher Betriebsmittel müssen durch Konformitätsbewertungen, technische Unterlagen, eine Betriebsanleitung und Sicherheitsinformationen gewährleisten, dass von diesen Geräten bei sachgemäßer Verwendung keine Gefahren ausgehen. Die fachgerechte Planung, Installation und Prüfung von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen ist nach gut vierjähriger Übergangsfrist seit November 2014 an die Vorgaben der IEC61439 gebunden. Verteileranlagen für Bemessungsspannungen bis 1.000V AC bzw. 1.500V DC, die seither in Betrieb gehen, müssen dieser Norm gemäß geplant und dokumentiert werden, wenn dabei Geräte aus Produktgruppen zum Einsatz kommen, deren Produktnorm auf die IEC61439 verweist.
Erweiterte HerstellerVerantwortung
Zugleich hat sich mit Inkrafttreten der IEC61439 die Herstellerverantwortung ausgeweitet. Auch Elektroinstallationsbetriebe gelten nun als Hersteller. Es obliegt nun dem Fachelektriker, für alle von ihm vorgenommenen konstruktiven Veränderungen, die vom Bauartnachweis des ursprünglichen Herstellers abweichen, neben dem Stücknachweis auch einen eigenen Bauartnachweis zu erstellen. Damit wird dem Anwender die elektrische Sicherheit der Anlage attestiert. Der Nachweis untergliedert sich in eine Reihe sicherheitsrelevanter Merkmale, die durch Einzelnachweise anhand von Prüfung, Vergleich mit einer Referenzkonstruktion oder Begutachtung zu erbringen sind. Bei Fertigstellung oder Inbetriebnahme einer Schaltgerätekombination muss der ausführende Elektriker einen Stücknachweis anfertigen, um etwaige Werkstoff- und Fertigungsfehler zu dokumentieren und die normkonforme Funktionstüchtigkeit der Verteileranlage zu belegen. Der Stücknachweis bescheinigt dem Anwender eine Installation gemäß Bauanforderungen und ein sicheres Betriebsverhalten. Hierzu sind neben den Einzelnachweisen auch die Angaben des installierenden Betriebs und eine Typenbezeichnung oder Kennnummer, die mit den weiteren Dokumentationsunterlagen übereinstimmt, aufzuführen.
Messtechnik und Prüfaufgaben
Die Erstprüfung einer Schaltgerätekombination erfolgt mittels Besichtigung, Erprobung und Messung. Durch Sichtprüfung wird beispielsweise die Einhaltung der geforderten Gehäuse-Schutzart festgestellt. Auch die Prüfung der Luft- und Kriechstrecken kann auf diese Weise erbracht werden, sofern die Abstände offensichtlich größer als qua Norm vorgeschrieben sind. Bei kleineren Luftstrecken müssen eine Stoßspannungsprüfung und zum Nachweis der Kriechstrecken physikalische Messungen vorgenommen werden. Mittels Sichtprüfungen oder Erprobung lassen sich die Einhaltung der Montageanweisungen, die innere Verbindung der Stromkreise und insbesondere die Schraubverbindungen sowie die mechanische Funktion von Verriegelungen und Betätigungselementen kontrollieren.
Für die messtechnische Überprüfung der elektrischen Schutzmaßnahmen von Schaltgerätekombinationen bietet Gossen Metrawatt mit dem Proitest Prime ein besonders leistungsfähiges Prüfgerät an. Der Funktionsumfang deckt fast das gesamte Prüfspektrum für Niederspannungsanlagen bis 1.000V AC / 1.500V DC angefangen mit Schutzleiterprüfungen mit 25A über Isolations- und Schleifenmessungen, RCD-Prüfungen aller marktüblichen Typen, die Isolationsüberwachung bis zur Messung von Ableit- und Berührströmen sowie der Restspannung ab. In der Geräteversion Prime AC sind überdies Hochspannungsprüfungen bis 2.500V AC, 500VA durchführbar. Das CAT IV-geschützte Gerät ist mit spezieller Sicherheitstechnik ausgestattet, so dass nur mittels Schlüsselschalter, Signallampe, Notaus-Schalter und der gleichzeitigen Betätigung beider HV-Pistolen geprüft werden kann. Neben vordefinierten Autosequenzen für die zügige Durchführung verschiedener Messaufgaben lassen sich auch eigene Prüfabläufe programmieren.
Zentrale Prüfabläufe und Messungen
- Zu den wichtigsten Prüfaufgaben für Niederspanungs-Schaltgerätekombinationen zählen der Schutz gegen elektrischen Schlag sowie die Kurzschlussfestigkeit der Verteileranlage. Jede Schaltgerätekombination muss mit einem Schutzleiter ausgestattet sein, der bei Fehlern – etwa durch schadhafte Basisisolierung – die Stromversorgung abschaltet. Der Schutz gegen die Folgen eines inneren Fehlers ist gewährleistet, wenn die verschiedenen Körper der Schaltgerätekombination wirksam mit dem Anschluss des ankommenden äußeren Schutzleiters verbunden sind und der Widerstand des Stromkreises den Wert 0,1Ω nicht überschreitet. Zum Nachweis ist ein Widerstandsmessgerät zu verwenden, das für die erforderliche Prüfdauer einen Strom von mindestens 10A Wechsel- oder Gleichstrom von jedem Körper im Inneren der Schaltgerätekombination zum Anschluss für den äußeren Schutzleiter leitet. Mit dem Profitest Prime lassen sich die einzelnen Prüfschritte einfach per Drehschalter abrufen sowie Messungen der Durchgängigkeit des Schutzleiters mit Stromstärken bis 25A vornehmen.
- Für die Prüfung der Isolationseigenschaften müssen alle elektrischen Betriebsmittel der Schaltgerätekombination angeschlossen sein. Davon ausgenommen sind lediglich Geräte, die nach gültigen Bestimmungen für eine niedrigere Prüfspannung konstruiert sind, sowie Strom verbrauchende Komponenten wie Wicklungen, Messgeräte und Überspannungsschutzgeräte, die bei angelegter Prüfspannung einen Stromfluss auslösen würden. Geprüft wird die betriebsfrequente Spannungsfestigkeit der Hauptstromkreise sowie daran angeschlossener Hilfs- und Steuerstromkreise. Nicht an einen Hauptstromkreis angeschlossene Hilfs- und Steuerkreise werden mit geringerer Spannung gesondert getestet. Die eingesetzte Prüfspannung von 1.000V bis 2.700V AC richtet sich nach der Bemessungsisolationsspannung des geprüften Stromkreises und darf im Moment des Anlegens höchstens 50% des vollen Prüfwerts betragen. Ist der Maximalwert erreicht, wird die Prüfspannung für 60 (+2) Sekunden aufrechterhalten. Weil die Prüfung mit Wechselspannung eine höhere Prüfschärfe aufweist, sollten Gleichspannnungsprüfungen nur erfolgen, wenn beispielsweise Filter oder Kondensatoren eine Messung mit Wechselspannung verhindern. Auch für diese Prüfabläufe können im Profitest Prime AC entsprechende Sequenzen hinterlegt werden.
- Eine weitere Prüfaufgabe gilt dem Nachweis der Erwärmung. Er belegt, dass die Betriebstemperaturen zu keiner Funktionsbeeinträchtigung bzw. vorzeitigen Alterung der Schaltgerätekombination führen oder übermäßige Wärme an die externen Leiter abgegeben wird. Zur Durchführung der Messungen mit dem Profitest Prime wird ein kombinierter Temperatur/Feuchte-Sensor an das Prüfgerät angeschlossen und das eingespeicherte Prüfprogramm gestartet. Umgebungstemperatur und relative Luftfeuchte müssen sich vor, während und nach der Prüfung innerhalb festgelegter Grenzwerte bewegen.
- Zur Prüfung der Schutzmaßnahmen an Schaltgerätekombinationen gehört schließlich die normkonforme Messung der Ableitströme, d.h. des Schutzleiterstroms nach VDE0701-0702 sowie der Berührströme an den leitfähigen, berührbaren, nicht mit dem Schutzleiter verbundenen Teilen nach VDE0701-0702. Im Zuge dessen müssen auch isolierte Gehäuse, Griffe und Leiter geprüft werden. Für diese Prüfaufgaben stehen mit dem Profitest Prime unterschiedliche Messmethoden zur Verfügung. Die Schutzleiterströme können sowohl durch Direktmessung mit zwei Messsonden und internem Messwiderstand als auch mit externer Strommesszange plus Filter direkt über dem Schutzleiter erfolgen. Alternativ ist auch eine Differenzmessung mittels externer Strommesszange über den aktiven Leitern L-N möglich. Die Messung von Berührströmen wird mit zwei Messsonden und internem Messwiderstand durchgeführt.
Der abschließende Prüfbericht verzeichnet alle durch Besichtigung, Erprobung und Messung durchgeführten Prüfungen samt Bezeichnung der Messwert-Protokolle und Schaltgerätekombination sowie der verwendeten Mess- und Prüfgeräte. Das Ergebnis der Prüfung wird in einer Bewertung zusammen mit den Angaben zu Prüfstelle, Prüfer, Datum und Unterschrift festgehalten. Um Prüfabläufe und Dokumentationspflichten zu vereinfachen, bietet Gossen Metrawatt eine bedienerfreundliche, geräteübergreifende Prüf- und Auswertesoftware an. Einzelne Messpunkte und -werte können über Bluetooth- und USB-Schnittstellen per Knopfdruck vom Profitest in die Software eingelesen und mit Messresultaten anderer Geräte zusammengefügt werden. Softwareseitig lassen sich komplette Prüfverzeichnisse von der gesamten Anlage über die Verteiler bis zu den einzelnen Messpunkten anlegen, um Prüfsequenzen und -schritte für alle vor Ort erforderlichen Messungen zu konfigurieren, abzuspeichern und revisionssicher zu protokollieren.
Autor |Michael Roick,
Produktmanager Test & Measurement
bei Gossen Metrawatt
Beitragsreihe: Anlagensicherheit auf dem Prüfstand
Teil 1: Schutzmaßnahmen-Prüfungen für Windkraft- und PV-Anlagen
Teil 2: Schutzprüfung von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen
Teil 3: Schutzmaßnahmen-Prüfung der elektrischen Sicherheit von Maschinen