Gefährliche Auswirkungen reduzieren

Räumliche Begrenzung von Störlichtbögen durch konstruktive Maßnahmen in Schränken

Gefährliche Auswirkungen reduzieren

Störlichtbögen können bei elektrischen Anlagen zur völligen Zerstörung führen und beim Menschen schwerste Verletzungen bis hin zum Tod verursachen. Mit passiven Störlichtbogenschutzsystemen lassen sich die schlimmsten Auswirkungen jedoch in vielen Fällen wirksam verhindern.

Sicher gegen Störlichtbögen mit dem System Unimes H von Hager. (Bild: Hager Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG)

Sicher gegen Störlichtbögen mit dem System Unimes H von Hager. (Bild: Hager Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG)

Laut der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) haben sich in Deutschland im Meldejahr 2018 insgesamt 636 meldepflichtige Stromunfälle ereignet. Als potenzielle Gefahren für den Menschen sind hierbei in erster Linie die Körperdurchströmung sowie Gefährdungen durch Störlichtbögen zu nennen. Der Anteil der Stromunfälle mit Störlichtbögen liegt zwar bei relativ geringen fünf bis sechs Prozent. Die Auswirkungen solcher Unfälle können jedoch verheerend sein, da bei Störlichtbögen unter anderem großflächige Verbrennungen durch enorme Temperaturspitzen sowie schwerste Verletzungen durch heftige Explosionen auftreten können.

Technische Definition des Störlichtbogens

Bei einem Lichtbogen handelt es sich um eine elektrische Gasentladung mit hohem Strom zwischen zwei Elektroden. Dabei bildet sich zwischen zwei aktiven Leitern oder einem aktiven und einem passiven Leiter ein elektrisch leitfähiges Plasma, dessen Temperatur bis zu 20.000°C betragen kann. Dieser Temperaturanstieg erzeugt im Schrankinnern einen gewaltigen Druck, der durchaus mit dem einer Bombe vergleichbar ist. Tritt ein Lichtbogen nicht betriebsmäßig, sondern durch eine Störung auf, spricht man von einem Störlichtbogen. Ursachen für die Entstehung von Störlichtbögen sind meist Montagemängel, betriebsbedingte Fehler wie Überspannungen, mangelhafte Isolierungen, Verschmutzungen oder eine zu hohe Packdichte eingebauter Geräte. Aber auch Nagetierverbisse kommen als Auslöser in Frage.

Passive Schutzmaßnahmen

Generell sind zwei Arten des Störlichtbogenschutzes zu unterscheiden: der aktive und der passive. Der passive Schutz soll die Entstehung eines Lichtbogens verhindern, bzw. die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Störlichtbogens reduzieren. Tritt dennoch ein Störlichtbogen auf, soll dieser durch geeignete Maßnahmen auf den Entstehungsort begrenzt bleiben und benachbarte Funktionseinheiten und Räume einer Schaltanlage nicht beeinträchtigen. Als Schutzeinrichtungen werden hierzu beispielsweise Isolationsplatten eingesetzt. Bei passiven Störlichtbogenschutzsystemen stellt in der Planungs- und Projektierungsphase bereits die Wahl der inneren Unterteilung (Bauform 1, 2b und 4) bei der Auslegung der Anlage einen Anlagenschutz dar, da auf diese Weise innerhalb der Funktionsräume (Sammelschienenraum, Geräteraum und Kabelanschlussraum) das Eindringen fester Fremdkörper verhindert wird. Damit wird die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Störlichtbogens begrenzt und ein Ausbreiten in benachbarte Funktionseinheiten verhindert. Aber auch die geeignete Auswahl der Geräte bzw. der Kurzschluss-Schutzeinrichtung kann die Folgen eines Störlichtbogens begrenzen. So können Leistungsschalter mit Nennströmen von 630A in einer sehr geringen Zeit von 30ms abschalten. Sinnvoll ist auch der Einsatz strombegrenzender Sicherungen, die ebenfalls sehr schnell reagieren und so mögliche Folgen mindern.

Störlichtbogen in einer Schaltanlage ohne Schutzsysteme (Bild: Hager Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG)

Störlichtbogen in einer Schaltanlage ohne Schutzsysteme (Bild: Hager Vertriebsgesellschaft mbH & Co. KG)

Sonderprüfung nach IEC61641

Eine zusätzliche Sicherheit passiver Schutzsysteme im Bereich von Niederspannungsanlagen wird durch das Absolvieren einer Sonderprüfung unter Störlichtbogenbedingungen nach IEC TR61641, IEC EN61439 Teil 2, Beiblatt 1 dokumentiert. Wichtig: Diese Prüfung ist keine Bauartprüfung, sondern eine Sonderprüfung, die zwischen Anwender und Hersteller zu vereinbaren ist. Dabei erfolgt die Zündung eines Lichtbogens durch einen Zünddraht zwischen den Außenleitern an Punkten mit den höchsten Auswirkungen. Ziel ist es, die Auswirkungen eines Störlichtbogens so gering wie möglich zu halten. Dies wird durch die Einhaltung verschiedener Prüfkriterien hinsichtlich des Personenschutzes und hinsichtlich des Anlagenschutzes sichergestellt. Im Bereich des Personenschutzes sind hierbei insgesamt fünf Kriterien zu erfüllen. So dürfen sich gesicherte Türen oder Abdeckungen beim Auftreten eines Störlichtbogens nicht öffnen und Teile, die eine Gefährdung verursachen könnten, dürfen nicht wegfliegen. Außerdem dürfen in der äußeren Umhüllung keine Löcher entstehen, vertikal vor der Anlage angebrachte Indikatoren dürfen sich nicht entzünden und der Schutzleiterstromkreis für berührbare Teile der Umhüllung muss nach der Prüfung noch funktionsfähig sein. Beim Anlagenschutz ist nachzuweisen, dass der Störlichtbogen im definierten Bereich – als beispielsweise in einem Feld oder Fach – verbleibt und dass keine Neuzündung in den angrenzenden Bereichen erfolgt. Sinnvollerweise wird dazu die Bauform 2-4 der inneren Unterteilung zur Definition der Bereiche genutzt. Zudem wird geprüft, ob nach der Störungsbeseitigung bzw. dem Abtrennen des definierten Bereichs ein Notbetrieb möglich ist. Diese hohen Sicherheitsanforderungen an den passiven Störlichtbogenschutz durch eine klare Raumaufteilung und innere Barrieren erfüllt beispielsweise das System Unimes H von Hager. Um die hohen Temperaturen und den dadurch entstehenden explosionsartigen Druck „in Schach zu halten“, hat Hager die Schränke dieses Systems innen mit zusätzlichen Isolierungen versehen. Darüber hinaus sorgen spezielle Störlichtbogen-Engstellen dafür, dass der Störlichtbogen zu diesen Stellen geführt wird, um dort kontrolliert abzubrennen. Auf dem Oberteil der Gehäuse montierte Druckentlastungsklappen lassen den Druck aus der Anlage entweichen, sodass ein unkontrolliertes Auseinanderbersten des Gehäuses verhindert wird. Mit einem zusätzlichen Rückwandschutz wird zudem ein Durchglühen des Schranks verhindert. Das oberste Schutzziel der Personensicherheit ist damit bestmöglich gewährleistet.

Anlagenschutz: zusätzliche Sicherheit durch erweitertes Schutzsystem

Die Effizienz eines Störlichtbogen-Schutzsystems wird in erster Linie durch die Begrenzung der Einwirkdauer des Lichtbogens bestimmt: Beträgt die Abschaltzeit mehr als 20 Millisekunden, ist von einem hohen Schaden auszugehen; liegt sie jedoch unter fünf Millisekunden, ist nur mit geringen Schäden zu rechnen. Die Norm DIN VDE 0100 zum „Errichten von Niederspannungsanlagen“ weist daher in ihren Teilen -420 (Schutz gegen thermische Auswirkungen) und -530 (Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel) konkret auf Maßnahmen zur Löschung eines Lichtbogens innerhalb von 5 Millisekunden sowie zur nachgelagerten sicheren Abschaltung der Versorgungsanlage hin.

Unter Teil -421.3 heißt es zu Störlichtbogenschutzeinrichtungen: „Schutzeinrichtungen zum Schutz bei Auftreten von Lichtbögen sollten installiert werden, wenn von der elektrischen Anlage hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit erwartet werden. Solche Schutzeinrichtungen müssen die Lichtleistung des Lichtbogens und den Anstieg des Stromes in den Außenleitern erkennen. Ferner müssen sie den Lichtbogen innerhalb von 5 Millisekunden löschen und die elektrische Anlage von der Versorgung abschalten.“ In Teil -532.6 sind ebenfalls klare Empfehlungen zum Einsatz von Störlichtbogenschutzeinrichtungen und zu Einrichtungen für die Lichtbogenerkennung und die Abschaltung aufgenommen. Hinsichtlich von Einrichtungen zum Brandschutz und zum Schutz gegen thermische Einflüsse zu Störlichtbogenschutzeinrichtungen heißt es: „Ist in elektrischen Anlagen mit Störlichtbögen zu rechnen und bestehen besondere Brandschutzerfordernisse und/oder besondere Verfügbarkeitserfordernisse, sollten Schutzeinrichtungen ausgewählt werden, die bei Eintritt eines Störlichtbogens innerhalb kürzester Zeit die Löschung des Störlichtbogens einleiten und gleichzeitig die Fehlerstelle vom Netz trennen.“

Aktive Störlichtbogenschutzsysteme

„Damit sprechen sich beide Normen für den Einsatz sogenannter aktiver Störlichtbogenschutzsysteme aus“, betont Gregor Wille, Normungsexperte in der Hager Group, bei der Hager Vertriebsgesellschaft. Denn ein aktives Störlichtbogenschutzsystem gewährleistet die notwendige, minimale Abschaltzeit einer Schaltanlage durch äußerst kurze Detektions- und Reaktionszeiten beim Auftreten eines Störlichtbogens. So werden die Auswirkungen eines Störlichtbogens stark reduziert oder ganz vermieden. Hierzu wird ein ausgefeiltes System elektrischer und elektronischer Komponenten eingesetzt. So besteht beispielsweise das Schutzsystem von Hager aus fünf aufeinander abgestimmten Komponenten, die beim Auftreten eines Störlichtbogens die Schaltanlage sicher abschalten: Lichtwellenleiter bzw. Punktsensoren erfassen als erste Detektionsstufe den Lichtbogen. Gleichzeitig erkennen speziell konstruierte Schutzstromwandler den rasanten Anstieg der Stromstärke. Beide Signale werden an das Erfassungsgerät weitergeleitet. Dieses steuert Kurzschließer an, die auf jeder Sammelschiene montiert sind. Die Kurzschließer schließen die Haupt-Sammelschienen 3-phasig kurz. Dieser Vorgang dauert etwa drei Millisekunden. Ein offener Leistungsschalter kann den Kurzschluss schon nach 30 bis 50 Millisekunden abschalten, so dass kein Folgeschaden entstehen kann. Im Idealfall kann die Anlage nach der Fehlerbehebung innerhalb von nur einer halben Stunde wieder in Betrieb genommen werden. Zum Vergleich: Ein passiver Störlichtbogenschutz greift „erst“ nach etwa 100 Millisekunden.

Fazit

Die Ausstattung von elektrischen Anlagen mit passiven Störlichtbogenschutzsystemen ist im Sinne eines Personen- und Anlagenschutzes sinnvoll. Darüber hinaus sind aktive Störlichtbogenschutzsysteme insbesondere bei höchsten Verfügbarkeits-Erfordernissen ratsam, da sie die Einwirkenergie deutlich reduzieren und entsprechend ausgestattete Anlagen daher schnell wieder in Betrieb genommen werden können.

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