Interview mit Klaus Ebinger, Leiter Produktmanagement Interfacetechnik bei Turck

„Es geht darum, Anomalien zu entdecken“

Vor sieben Jahren führte die Firma Turck ihren Schaltschrankwächter in den Markt ein, der die drei Parameter Türschluss, Feuchtigkeit und Temperatur in einem Schrank erfasst. Seitdem ist das System ständig erweitert und zu einem Tool für das Condition Monitoring (siehe auch SSB-Ausgabe 3/2023) ausgebaut worden. Im Gespräch mit dem SCHALTSCHRANKBAU lässt Klaus Ebinger diese Entwicklung Revue passieren und erläutert unter anderem, für welche Branchen das System besonders interessant ist.
Klaus Ebinger zeigt die 
einfache Handhabung des Systems anhand eines Demonstrationskoffers.
Klaus Ebinger zeigt die einfache Handhabung des Systems anhand eines Demonstrationskoffers.Bild: Hans Turck GmbH & Co. KG

Herr Ebinger, wie kam es zur Entwicklung Ihres Schaltschrankwächters?

Klaus Ebinger: Ausgangspunkt war eine Untersuchung der Namur, die Gründe für Anlagenstillstände erforscht hat. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass es in der Regel die Vor-Ort-Schränke an den Prozessanlagen waren, die Probleme bereiteten und ausfielen. Da sind wir zu dem Schluss gelangt, dass es gut wäre, bestimmte Parameter innerhalb des Schranks zu überwachen – nämlich Temperatur, Feuchtigkeit und auch den Türschluss. Daher sind wir zu Beginn zunächst mit dem IMX12, einem eigensicheren Gerät für die Prozessindustrie, an den Start gegangen.

Wie ging es dann weiter?

Ebinger: Wir wollten zunächst ein möglichst einfach zu handhabendes Gerät auf den Markt bringen, das Grenzwerte für die drei genannten Parameter überwacht. In der Praxis waren aber immer wieder auch Messwerte gefragt. Daher haben wir die drei Sensoren für Temperatur, Feuchtigkeit und Türschluss an einen Linux-basierten Einplatinen-Computer angeschlossen, der Messtechnikern die gewünschten Messwerte liefern konnte. Das war die Geburtsstunde des IM18-CCM, unserer heutigen Cabinet-Condition-Monitoring-Plattform für nicht-eigensichere Anwendungen. Die Linux-basierte Lösung ist vor allem interessant für Anwender, die ein bestehendes Auswerte-Ökosystem besitzen. Mit dem kürzlich vorgestellten IM18-CCM60 sprechen wir die Automatisierer an, die eine sehr einfache Administrierung des Systems wollen, ohne Programmierkenntnisse. Dazu haben wir das System mit dem Siineos-Betriebssystem der Firma In.hub ergänzt, das jedem Anwender den einfachen Zugriff auf die internen Sensoren und die Parametrierung vielfältiger Schnittstellen ermöglicht, quasi eine smarte Plug&Play-Lösung. Mittlerweile sind mehr als 20.000 Geräte im Einsatz.

Wie lassen sich Temperatur, Feuchtigkeit und Türschluss in großen Anreih-Schaltschränken messen, wenn sich die kritischen Stellen gegebenenfalls in größerer Distanz zum Wächter befinden?

Ebinger: Lange Anreih-Schaltschränke lassen sich mit einem einzelnen CCM nicht überwachen. In diesem Fall benötigen Anwender entweder mehrere CCM oder sie schließen z.B. über eine Modbus-Schnittstelle zusätzliche externe Sensoren an, die die Hotspots überwachen. Die Erfahrung zeigt, dass in großen Schaltschränken drei Messpunkte ausreichen, um valide Aussagen über die Temperaturverteilung und Feuchtigkeit zu erhalten.

Gibt es bestimmte Branchen, bei denen Ihr System bevorzugt eingesetzt wird?

Ebinger: Speziell die Türüberwachung ist natürlich ein besonders interessantes Feature für sogenannte kritische Infrastrukturen (KRITIS). Daher sind die Geräte auch in einigen deutschen Stadtwerken im Einsatz, die den Zugriff auf die Schaltschränke zuverlässig und manipulationssicher überwachen möchten. Dann gibt es Fertigungen, wo besonders widrige Umweltbedingungen durch Staub, Schmutz oder Öle herrschen. Die Schaltschränke in diesen Umgebungen müssen dicht und möglichst geschlossen bleiben. Ebenfalls relevant sind Anwendungen in der Prozessindustrie, wo Schaltschränke dezentral nahe an der Anlage aufgestellt sind und aus der Ferne überwacht werden müssen.

Benötigen Schaltschrankbauer oder Betreiber Spezialkenntnisse zur Einrichtung und Inbetriebnahme?

Ebinger: Nein, die Installation und Montage ist denkbar einfach. Die Geräte werden auf der Hutschiene montiert, an der Versorgungsspannung angelegt und die Schaltschranktür geschlossen. Dann startet der Anwender einen Teach-In-Prozess. Der Abstand der Tür zum Sensor wird als Referenzwert verwendet, und, sobald sich Temperatur und Feuchte eingependelt haben, nimmt das System auch diese Werte als Referenz – mit einer Toleranz von 10 Kelvin nach oben und unten. Anwender können diese Grenzwerte auch selbst festlegen – über das Hart-Protokoll im Fall der eigensicheren Variante oder über IO-Link für die diskrete Automatisierung. Zudem haben Nutzer mit dem IM18-CCM60 die Möglichkeit, alles über das Betriebssystem Siineos zu parametrieren.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Firma In.hub

Ebinger: Einer der Geschäftsführer von In.hub war früher Vertriebsleiter bei einem Turck-Tochterunternehmen. Die Firma In.hub hat dann einige IM18-CCM von uns bezogen und wollte ihren Kunden wiederum die Möglichkeit bieten, die Geräte einfach zu administrieren. Daraus ist das Betriebssystem Siineos entstanden, das tatsächlich eigens für diese Hardware entwickelt wurde. Im Verbund entstand dann ein System, das zur Schaltschranküberwachung, aber auch zum Condition Monitoring für bestehende Anlagen eingesetzt werden kann, beispielsweise, um auf simple Weise eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Überwachung bestimmter Grenzwerte. Trendanalysen sind für den Betrieb von Schaltschränken das eigentlich wichtige Thema. Also: Gibt es ein leichtes, aber stetiges Ansteigen von Temperatur oder Feuchte, das letztendlich zum Anlagenausfall führen kann? Letztendlich ist das CCM zur Detektion von Anomalien interessant, also dann, wenn es zu signifikanten Veränderungen im Schaltschrank kommt, weil drinnen oder draußen ‚Party‘ ist.

Wie könnten weitere Ausbaustufen des Systems aussehen?

Ebinger: Interessant wäre – beispielsweise für Anwendungen im maritimen Bereich – die Detektion einer sich anbahnenden Korrosion im Schaltschrank. Aber auch hier muss die einfache Handhabbarkeit im Vordergrund stehen.

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