Das Ohr immer an der Schiene

Klemmen und Komponenten, die nicht automatisch auf die Tragschiene aufgebracht werden können, werden mit dem Elam-System manuell ergänzt. Dabei führt das System den Mitarbeiter durch die Montage. Die Position, an der die Klemme angebracht werden soll, wird auf die Tragschiene projiziert. (Bild: Armbruster Engineering)
Kürzlich erzählte mir ein Schaltanlagenbauer, der bei der Digitalisierung und Automatisierung schon relativ weit war, dass es für seinen Betrieb essenziell gewesen sei, gerade in der Planungsabteilung einen Mitarbeiter mit diesem Thema zu betrauen, der vom Tagesgeschäft weitestgehend entbunden war. Würden Sie eine solche Vorgehensweise als Ansatzpunkt generell empfehlen?

Vogler: Eine übergeordnete Projektsicht ist immer von Vorteil. Gerade weil wir mit den Themen von Smart Cabinet Building verschiedene Bereiche – Elektrokonstruktion, Auftragsplanung, Fertigung, Prüffeld, usw. – ansprechen, ist es wichtig, dass jemand den Überblick behält. Der Kauf einer Software oder eines Werkzeugs allein ist noch keine Änderung. Da viel Potential im optimalen Zusammenspiel verschiedener Arbeitsschritte steckt, ist eine übergeordnete Koordination hilfreich. Wo diese Stelle angesiedelt ist und wie viel Kapazität sie in Anspruch nimmt, ist sicherlich von Firma zu Firma unterschiedlich. Wir empfehlen definitiv frühzeitig alle relevanten Akteure – meistens Engineering, Produktion, Einkauf und Geschäftsführung – an einen Tisch zu bringen.

Bild: Zuken E3

„Die Skalierbarkeit unserer Lösungen bietet vielfältige Möglichkeiten.“

Achim Stirner, Zuken E3
Die bisherigen Mitglieder von Smart Cabinet Building bieten ein unterschiedliches Portfolio: von der Engineering-Software, über die (teil-)automatisierte Kabelkonfektionierung, Bestückung und Markierung, bis hin zu digitalen Assistenzsystemen auf der Fertigungsebene. Gab es hier einen Bereich, der besonders nachgefragt war? Oder anders gefragt: Wo liegt im Schaltschrankbau der größte Nachholbedarf?

Durrer: Die Bedürfnisse der Kunden sind sehr unterschiedlich. Meistens sind die Bereiche der mechanischen Bearbeitung schon sehr gut vernetzt und teil- oder vollautomatisiert. Eher manuell geht es dagegen im Aufbau von Baugruppen und der Verdrahtung zu. Gerade die Themen Kabelkonfektion und Verdrahtung sind in der Praxis große Aufwandstreiber und haben daher hohes Potential zur Effizienzsteigerung.

Stirner: In diesem Bereich ist der Schlüssel zum Erfolg oft die digitale Datenbasis, da sich dadurch Prozesse parallelisieren lassen. Wenn der digitale Zwilling zum Beispiel im Zuken E3.series vollständig vorliegt, können sich alle nachgelagerten Bereiche zeitgleich die benötigten Daten daraus ableiten. Das bringt enorme Einsparungen bei der Durchlaufzeit und damit auch an den Kosten. Die Firmen, die es schaffen, das Huhn/Ei-Problem zu durchbrechen, sind in der Lage die Möglichkeiten moderner Konstruktions- und Fertigungshilfsmittel für ihre Vorteile zu nutzen.

Dülme: In Summe ist unsere Erkenntnis: Der Nachholbedarf ist so unterschiedlich wie die Ausgangssituation der Schaltschrankbauer. Je nach Branche, in die die Schaltschränke ausgeliefert werden, gibt es Forderungen und Nachholbedarf bei der Rückverfolgbarkeit. Bei anderen passt das Vorgehen bei der Beschriftung nicht zum restlichen professionellen Setup. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Es herrscht Nachholbedarf bei der Frage, wofür will ich als Schrankbauer stehen, was soll mich zukünftig differenzieren und der anschließenden konsequenten Ausgestaltung der dafür erforderlichen Prozesse.

Bild: Weidmüller GmbH & Co. KG

„Jeder Schaltschrankbauer hat ganz unterschiedliche Pain-Points.”

Christian Dülme, Weidmüller
Bei der Offenheit von Lösungen stoßen Betriebe häufig an Grenzen. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Schaltanlagenbauer möchte seine Tragschienenbestückung automatisieren, setzt aber regelmäßig Reihenklemmen drei unterschiedlicher Anbieter ein. Mit Blick auf die Investitionskosten wird er sich kaum drei verschiedene Automaten in die Produktion stellen. Was würde Smart Cabinet Building hier empfehlen?

Vogler: Unsere Antwort ist an dieser Stelle die geschickte Kombination aus voll- und teilautomatisierten Lösungen. Wir würden dem Kunden beispielsweise für die am häufigsten vorkommenden Klemmen den RailAssembler von Weidmüller empfehlen, der durch einen manuellen Bestückungsarbeitsplatz, ausgerüstet mit dem Elam-System von Armbruster Engineering, ergänzt wird. Damit lassen sich die nicht automatisierten Klemmen geführt und abgesichert von Hand nachbestücken.

Die Software Digital Lean Wiring bietet einen Weg zur Längenermittlung, falls einmal ein 3D-Aufbau in den Verbindungslisten fehlt. Auch die Länge lässt sich in der Komax-eigenen Software nachträglich mittels virtuellen Verdrahtens ermitteln. (Bild: Komax)
Ein weiteres oft genanntes Problem ist der drohende interne Widerstand seitens der Mitarbeiter, die möglicherweise fürchten, durch die Einführung bestimmter Automatisierungsmaßnahmen obsolet zu werden. Wie könnten Firmenchefs hier Überzeugungsarbeit leisten?

Stirner: Generell muss man bei der Einführung von Automatisierungsmaßnahmen die Mitarbeiter mitnehmen. Sie sind ein hohes Gut, Wissensträger und mittelfristig auch wieder Mangelware. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Viele Mitarbeiter wird man nur halten bzw. gewinnen können, wenn man moderne Arbeitsmittel und Methoden einsetzt. Nur so kann der Fertigungsbereich auch für junge Mitarbeiter attraktiv werden – denn die sind Computer-affin und heiß umkämpft. Zudem wird man immer komplexere Produkte, kürzere Durchlaufzeiten, kleinere Losgrößen und hohe Änderungsintensität ohne (Teil-)Automatisierung in einem Hochlohnland wirtschaftlich nicht mehr lange produzieren können. Wie sehen die nächsten Entwicklungsschritte Ihrer Initiative aus? Wird es eine Ausweitung Ihres Angebots, etwa durch die Aufnahme neuer Mitglieder, geben?

Vogler: Im nächsten Schritt wollen wir zunächst die Initiative Smart Cabinet Building in der bisherigen Konstellation noch weiter bekannt machen und unsere Lösungen dem Markt präsentieren. Eine Aufnahme weiterer Mitglieder und damit eine Ausweitung des Lösungsangebots ist im Gespräch, ist aber aus unserer Sicht eher ein Thema für 2022.

Bild: Komax

„Die Kunden schätzen die Komplett-Kompetenz von Smart Cabinet Building.“

Cornel Durrer, Komax
Erfahrungsgemäß entwickeln sich Schaltanlagenbauer, wenn sie sich dem Thema Digitalisierung/Automatisierung widmen, häufig zu absoluten Spezialisten, die z.B. wichtige Anregungen geben könnten, um Fallstricke zu umgehen. Haben Sie vielleicht schon einmal daran gedacht, sich dahingehend Expertise ins Haus zu holen?

Dülme: Das ist komplett richtig. Deswegen haben wir in den Reihen der einzelnen Unternehmen auch Mitarbeiter, die selbst aus dem Schaltschrankbau kommen, sowohl aus dem Engineering als auch der Produktion. Noch viel wichtiger ist aber, dass wir mit diversen führenden Schaltschrankbauern seit Jahren bilateral und seit einem Jahr auch gemeinsam als Smart Cabinet Building im Austausch stehen. Mit einigen Betrieben laufen auch konkrete Projekte. Viele technische Weiterentwicklungsideen tauschen wir mit diesen Unternehmen aus und nehmen dabei auch gern Anregungen auf. Wir haben ständig das Ohr an der Schiene.

Durrer: Den stetigen Austausch mit unseren Kunden erachten wir als wichtig. Unsere Entwicklungen sind auf die Erfahrungen unseren Kunden gestützt. Sämtliche Tests von Ansätzen und Equipment werden entsprechend bei Kunden vollzogen. Dank der Breite dieser Erfahrungen haben wir ein sehr gutes KnowHow innerhalb unserer Firma aufgebaut.

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