Herr Böhmer, im August 2020 hat Wago mit der Wago Electronics GmbH eine Tochtergesellschaft gegründet, die sich speziell dem Thema Stromversorgungen widmet. Wäre eine Bearbeitung dieses Themenfeldes innerhalb der Muttergesellschaft nicht auch möglich gewesen? Welche Vorteile bietet diese Aufstellung?
Klaus Böhmer: Wir sind Anfang 2021 mit der Wago Electronics GmbH an den Standort Erwitte gezogen. Dabei haben wir von einem hiesigen ehemaligen Entwicklungspartner im gegenseitigen Einvernehmen ein Team herausgelöst, das in der neuen Tochtergesellschaft aufgegangen ist. Die Hauptzielsetzung einer eigenen Gesellschaft ist, dass wir diesen Team-Charakter und dessen Agilität beibehalten möchten. Denn hierdurch können wir kurze Entscheidungswege und ein schnelles Fortbewegen gewährleisten, was innerhalb der Konzernstruktur nicht so einfach möglich wäre. Wir haben hier schlankere Prozesse, und dies zeigt sich bei der täglichen Arbeit. Unser Fokus in Erwitte liegt eindeutig auf der Entwicklung neuer Lösungen, für die Marktdurchdringung nutzen wir die weltweite Wago-Vertriebsstruktur. Wir haben mit den Standard-Hutschienengeräten angefangen, werden aber unsere Aktivitäten auf den Bereich Leistungselektronik ausweiten, um so dem steigenden Bedarf am Markt Rechnung zu tragen.
Was bedeutet dies konkret in Bezug auf Produkte?
Böhmer: Ich möchte noch nicht zu viel verraten, aber es wird definitiv demnächst Produkte und Marktleistungen geben, die über ein Kilowatt Leistung hinausgehen, die wir aktuell auf Hutschienenbasis bedienen. Derzeit befinden wir uns aber in einem zu frühen Stadium, um konkret auf Lösungen einzugehen.
Beispielsweise im Bereich der Leistungsschalter waren die Hersteller ja in jüngster Zeit sehr innovativ, was die Implementierung von Digitalisierungs-Features für die Parametrierung oder die Kommunikationsfähigkeit anbelangt. Dies ist vielleicht vergleichbar mit Ihrer Entwicklung der Pro 2-Stromversorgung…
Böhmer: Ja, und hier kommen natürlich die typischen Wago-Stärken zum Tragen. Wir sind stark in der Verbindungstechnik, wir sind stark in der Kommunikation, in der Verarbeitung von Daten, sprich in der Steuerungstechnik, wir sind stark im Bereich Stromversorgungen. In der Kombination können wir unseren Kunden so Marktleistungen wie kaum ein anderer Marktbegleiter bieten. Unser ‚Open & Easy‘-Credo bei den Steuerungen – also die leichte Konnektivität und hohe Flexibilität bzgl. Feldbus-Technik – haben wir übertragen auf die Stromversorgungen. Damit ist die Stromversorgung ein wichtiges Element der Automatisierungslösung, und wir sehen von Kundenseite, wie die Vorteile, die damit einhergehen, zunehmend erkannt und auch eingefordert werden.
Welches Portfolio an Stromversorgungen hält Wago derzeit bereit?
Böhmer: Wir bieten heute von der kostenoptimierten Eco-Linie bis zu unserem Flaggschiff Pro 2 die volle Bandbreite für alle Industrien sowie Gebäudeanwendungen. Die Pro 2 bietet einmal ein hohes Maß an Effizienz, aber auch Funktionalitäten wie Top- oder Power-Boost, eingebauter elektronischer Schutzschalter, Kommunikationsschnittstellen wie IO-Link, bis hin zu Modbus/TCP und künftig auch Ethernet/IP.
Wird eine derartige Varianz an Stromversorgungen tatsächlich so benötigt? Wie unterscheiden sich dabei die Anwendungsgebiete?
Böhmer: Ja, die Skalierbarkeit ist wichtig für unsere Kunden, da die Anwendungen sehr unterschiedlich sind. Anspruchsvolle Applikationen beispielsweise werden dadurch beschrieben, dass einmal die Umgebung sehr fordernd ist – etwa im Hinblick auf Temperatur, Vibration, Stäube, aggressive Medien, etc. Dann gibt es das Kriterium der Zugänglichkeit. Wenn die Anlage an einem Ort installiert ist, an den ein Wartungstechniker nur schwer herankommt, ist die Möglichkeit eines Fernzugriffs wichtig. Und dies nicht nur, um den Zustand der Stromversorgung zu ermitteln oder Parameter zu ändern. Aufgrund der von ihr gelieferten Daten können auch Rückschlüsse auf die Funktionstüchtigkeit der angeschlossenen Lasten gezogen werden. Anwender können so permanent die Last auslesen und sich ein genaues Bild davon machen, wie sich diese über die Zeit verändert. Gibt es beispielsweise Ventile oder Pumpen, die einem Verschleiß unterliegen, dann können Betreiber mit Hilfe der Pro 2 feststellen, ob der Stromverbrauch mit der Zeit zunimmt. Andernfalls wäre dies nur mit einem Zusatzaufwand die Möglichkeit. Schließlich gibt es die Kriterien Effizienz und Verfügbarkeit. Applikationen, die eine sehr hohe Verfügbarkeit erfordern, benötigen eine Stromversorgung, die unter strengen Bedingungen auch zuverlässig funktioniert, sehr robust und leistungsfähig ist.
größeren Gesamtzusammenhang ist.“ – Bild: Wago Kontakttechnik GmbH & Co. KG
Können Sie dies bitte anhand einer konkreten Applikation veranschaulichen?
Böhmer: Ein gutes Beispiel für eine anspruchsvolle Anwendung, bei der verschiedene Anforderungen zusammenkommen, ist eine Windkraftanlage, weil oben in der Gondel zahlreiche Bedingungen vorliegen: große Temperaturschwankungen, starke Vibrationen oder EMV-Einflüsse durch Blitzeinschläge. Ferner ist eine solche Anlage, besonders im Offshore-Bereich, extrem schwer zugänglich. Hier ist der Vorteil evident, anhand einer Fernüberwachung über den Zustand der Stromversorgung und der angeschlossenen Verbraucher informiert zu sein. Ein anderes Beispiel sind Wasseraufbereitungsanlagen. Hier ist die Verfügbarkeit das A und O, denn bei einem Ausfall von nur wenigen Minuten ist möglicherweise die Wasserqualität beeinträchtigt. Wir haben beispielsweise Stromversorgungen in der Wasseraufbereitung von Sao Paolo in Brasilien im Einsatz. Dort gibt es verschiedene Gebiete, die von halb privaten, halb staatlichen Unternehmen mit Trinkwasser versorgt werden. Teilweise sind diese Anlagen schwer zugänglich, und ein Ausfall von wenigen Minuten würde Millionen Menschen betreffen. Auch hier ist die Fernüberwachung essenziell. Beim Einsatz im Gebäude ist häufig eine hohe Energieeffizienz gefragt. Denn Facility Manager sind heute zunehmend in der Pflicht, den CO2-Fußabdruck der durch sie betreuten Liegenschaften nachzuweisen.
Dies war nun der High-End-Bereich. Bezogen auf die Standard-Lösungen: Welche Mindestanforderung muss eine Stromversorgung heute mitbringen?
Böhmer: Natürlich haben auch die Eco-Geräte ihre Berechtigung. Wenn sich der Anspruch lediglich auf eine lange Lebensdauer und eine gute Effizienz beschränkt, dann haben unsere Kunden mit einer Eco 2-Stromversorgung ein sehr gutes Gerät. Dies trifft zum Beispiel auf Applikationen in gut zugänglichen Bereichen und solchen zu, wo eine hohe Stückzahl an Geräten zum Einsatz kommt, aber die Verfügbarkeit nicht hoch kritisch. Beispielsweise Sensorik in der Fördertechnik, wo die Last in etwa immer gleich ist und geringer bis kein Verschleiß vorliegt.
Sie sprachen in Zusammenhang mit der Pro 2-Serie die Features Kommunikationsfähigkeit und diverse Parametrierungsoptionen an. Ist das nicht für den Schaltschrankbau, der ja immer auch einen Blick auf kostenoptimierte Lösungen haben muss, zumindest derzeit noch über-engineered?
ist die Pro 2, die in einer Bandbreite
von 120 bis 960W angeboten. – Bild: Wago GmbH & Co. KG
Böhmer: Dies sehe ich nicht so. Sicherlich ist hinsichtlich der neuen Möglichkeiten noch Einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten. Wer über Jahrzehnte Stromversorgungen diverser Hersteller bezogen hat, die diese Funktionalitäten nicht besaßen, denkt im ersten Moment sicherlich: ‚Das habe ich in der Vergangenheit nicht benötigt, warum sollte ich es heute brauchen?‘ Trotzdem ist fast allen Kunden heute klar, wie wichtig zum Beispiel die kommunikative Einbindung etwa über IO-Link, Modbus TCP oder künftig über ein Ethernet-basiertes Protokoll in einen größeren Gesamtzusammenhang ist. Wenn der Schaltanlagenbauer die Möglichkeit hat, die Stromversorgung durch einfache Kommunikationsbausteine in die Steuerungsfunktion mit einzubinden, wird er diese Option auch wahrnehmen.
SSB: Wie wichtig ist das Thema Wirkungsgrad, der ja bei der Pro 2 bei 96% liegt?
Böhmer: Im Zuge der steigenden Energiekosten ist dies ein ganz wichtiges Thema. Denn bei den energieintensiven Komponenten innerhalb eines Schaltschranks nehmen Netzteile eine herausgehobene Position ein. Bei einer SPS mit einer Aufnahme von 20W oder 30W machen 5% Einsparung nicht so viel aus. Wenn aber zwei bis vier Netzteile mit Ausgangsnennleistungen von je 960W im Schaltschrank verbaut sind, dann spielt dies schon eine Rolle, denn dann kann aufgrund des hohen Wirkungsgrads eine Klimatisierung entsprechend kleiner dimensioniert werden. Der Schaltanlagenbauer kann zudem mit einer viel höheren Packungsdichte der Komponenten arbeiten, ohne dass der Schaltschrank überhitzt.
Wie muss ich mir die Entwicklung der Pro 2 vorstellen? Hatten Sie bereits Ihrerseits ein Lastenheft erstellt, oder haben Sie Interviews mit wichtigen Kunden geführt, um deren Bedarfe zu ermitteln?
Böhmer: Es sind verschiedene Elemente eingeflossen. Rückmeldungen von Kunden sind natürlich das A und O, da sie ihre Anforderungen genau kennen. Der zweite Faktor ist, dass wir auf ein erfahrenes Ingenieursteam zurückgreifen konnten, das seit vielen Jahren Stromversorgungen entwickelt. Aber auch unsere Produktmanager in aller Welt haben ihre Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen mit eingebracht.
Wie sieht aktuell der Anteil hinsichtlich der Absatzzahlen im Hinblick auf die niedrigpreisigen und die mit viel ‚Intelligenz‘ ausgestatteten Lösungen aus?
Böhmer: Hinsichtlich der Stückzahlen verkaufen wird sicherlich mehr von unseren Standard- als von den High-End-Geräten, was aber nicht unbedingt den Umsatz widerspiegelt. Zudem haben wir ein überproportionales Wachstum bei den intelligenteren Geräten.
Können Sie einen Ausblick geben auf kommende Features, die der Markt bei den Wago-Stromversorgungen erwarten kann? An welchen Stellschrauben kann noch gedreht werden?
Böhmer: Zunächst einmal haben wir unser Basis-Produktportfolio jetzt komplettiert. Einphasig, dreiphasig, unterschiedliche Spannungsvarianten, Zulassungen wie DNVGL für Anwendungen in der Windkraft, On- und Offshore oder auf dem Schiff, UL-HazLoc-Zertifizierung, also die Zulassung für explosionsgefährdete Bereiche in Nordamerika, und auf Wunsch eine Schutzlackierung der Leiterplatten für die Pro 2, was eine maßgebliche Anforderung der Prozessindustrie ist. Im High-End-Segment werden wir demnächst Geräte vorstellen, die einen Schritt Richtung erhöhter Redundanz gehen. Im Eco 2-Segment haben wir bereits Lösungen in den unteren Leistungsklasse von 30W und 120W, da werden wir im kommenden Jahr in den höheren Leistungsklassen Geräte auf den Markt bringen. Zudem werden wir einige Leistungsmerkmale der Pro 2-Stromversorgungen auch in die Eco 2-Produktfamile implementieren.
www.wago.com