Electrical Engineering und Schaltschrankbau für Raumfahrtanwendungen

Bavarian Rocket Science

Der Wettlauf ins All erlebt eine Neuauflage. Doch anders als in den 1950er und 1960er Jahren ringen diesmal keine politischen Systemblöcke um Pionierleistungen in der Raumfahrt. New Space, wie die Fachwelt die Kommerzialisierung neuer Raumfahrt-Technologien und -Anwendungen nennt, ruft vielmehr privat finanzierte Start-ups auf den Plan. Rund um die Welt entwickeln und bauen sie flexible Startsysteme und wiederverwendbare Trägerraketen, die kleine und mittelgroße Satelliten kostengünstig in unterschiedliche Erdumlaufbahnen bringen können.
Bild 1 | Als Startdienstleister entwickelt und baut Isar Aerospace flexible Trägerraketen für den kostengünstigen Transport kleiner und mittelgroßer Satelliten.
Bild 1 | Als Startdienstleister entwickelt und baut Isar Aerospace flexible Trägerraketen für den kostengünstigen Transport kleiner und mittelgroßer Satelliten.Bild: Isar Aerospace

Als prominente Auftraggeber stehen SpaceX und Blue Origin parat – beide US-Unternehmen wollen aus dem Orbit die entlegensten Winkel der Erde mit schnellem Internet versorgen. An ähnlichen Missionen für neue Satellitenkonstellationen arbeitet auch das europäische Raumfahrtökosystem. Dort positioniert sich Isar Aerospace als Startdienstleister. Das 2018 von drei Raketeningenieuren in München gegründete Unternehmen ist schnell auf über 220 Mitarbeiter gewachsen. Ziel ist es, den Zugang zum Weltraum flexibler und kostengünstiger zu ermöglichen und die kommerzielle Raumfahrt in Europa voranzutreiben.

Kein Lift-off ohne Schaltschränke

Bild 2 | Die komplette Montage und Verdrahtung der mit WSCAD konstruierten Schaltschränke erfolgen bei Isar Aerospace aus Qualitätssicherungsgründen intern.
Bild 2 | Die komplette Montage und Verdrahtung der mit WSCAD konstruierten Schaltschränke erfolgen bei Isar Aerospace aus Qualitätssicherungsgründen intern.Bild: © Isar Aerospace

Damit bei künftigen Missionen alles wie am Schnürchen klappt, kommt dem Testen und der Validierung jeder Komponente und jedes Bauteils große Bedeutung zu. Jeder Teststand verfügt über speicherprogrammierbare Steuerungen und individuell konfigurierte Schaltschränke. Ihre Größe variiert je nach Anforderung. Für die Prüfung von Subkomponenten wie Ventile oder Batterien reichen kleine Boxen in den Abmessungen von 30x30cm. Um ein Raketentriebwerk validieren zu können braucht es aber größere Versuchsstände wie im Esrange Space Center, nahe der nordschwedischen Stadt Kiruna gelegen. Dort arbeiten die Entwicklungsingenieure von Isar Aerospace mit einem ganzen Netz unterschiedlicher Schaltschränke, die miteinander kommunizieren. Neben SPSen sind 24V-Netzteile, Schütze, Relais, Frequenzumrichter, Motorsteuerungen und jede Menge Sicherheitstechnik verbaut. „Allein 2021 haben wir mehr als 20 Schaltschränke entworfen und in Eigenregie gebaut“, berichtet Marc Rötzer, Elektrokonstrukteur bei Isar Aerospace. Tendenz: weiter steigend.

Diesen Output kann die Elektrotechnik von Isar Aerospace nur stemmen, weil sie eine professionelle ECAD-Anwendung nutzt. Das Fünf-Mann-Team erstellt sämtliche Stromlaufpläne mit der Electrical Engineering Software von WSCAD. Neben einigen Standardschaltungen sind an den Testständen viele Individualentwicklungen zu berücksichtigen. Makros beschleunigen die Konstruktion und helfen gleichzeitig Fehler zu vermeiden. Sobald die Stromlaufpläne stehen, erfolgt mit dem WSCAD-Modul Cabinet Engineering der Schaltschrankaufbau. In dieser Phase ist bereits klar erkennbar, wo welche Relais sitzen, welche Sicherungen später verbaut werden müssen und wo Hutschienen und Kabelkanäle verlaufen. Bohrdaten für Meterware wie Tragschienen lassen sich per Dialog einfach konfigurieren.

Bild 3 | Für große Raketenmotortests nutzt Isar Aerospace das eigene Test- und Entwicklungsgelände im Weltraum-Cluster Kiruna in Nordschweden.
Bild 3 | Für große Raketenmotortests nutzt Isar Aerospace das eigene Test- und Entwicklungsgelände im Weltraum-Cluster Kiruna in Nordschweden.Bild: © Isar Aerospace

3D-Visualisierung für mehr Planungssicherheit

Die Software hilft auch dabei, einzelne Bauteile für die spätere Herstellung der Schränke rechts- oder linksbündig auf Zehntelmillimeter genau zu platzieren. Für einen spürbaren Produktivitätsschub in den Arbeitsabläufen sorgt die Berechnung der Drahtlängen inklusive Routing bereits während der Planung. Auch der Füllgrad der Kabelkanäle ist sofort sichtbar. In der 3D-Ansicht werden Komponenten bei Nutzung nativer 3D-Daten auf Grundlage tatsächlicher Bauteilabmessungen auf Kollisionen geprüft. Schnell lässt sich feststellen, ob die Schranktüren präzise schließen oder nicht. Zudem vermittelt die 3D-Kontrollansicht mit fotorealistischen Bildern eine bessere räumliche Übersicht.

Ohne zusätzliche Software und Kosten können die in WSCAD erzeugten Schaltschrankdaten über Schnittstellen exportiert werden, um etwa Klemmleisten von Phoenix Contact zu beschriften. Bei mehreren hundert Klemmenbeschriftungen spart das viel Zeit und vermeidet manuelle Fehler. „Auf solche Features können und wollen wir nicht mehr verzichten“, sagt Rötzer. Verdrahtet wird derzeit noch ausschließlich auf Grundlage der Stromlaufpläne. „Aber auch die Verdrahtungs-App Cabinet AR von WSCAD wollen wir bald testen und einsetzen.“ Die leeren Schaltschränke bezieht Isar Aerospace vorkonfektioniert mit Ausschnitten für Lüfter und Bohrungen für die Bedienelemente. Montage und Verdrahtung erfolgen aus Qualitätssicherungsgründen intern. Am Standort Ottobrunn bei München stehen dafür Kabel und Komponenten in einem eigens eingerichteten Elektrolager zur Verfügung.

Schulung als Mix aus Theorie und Praxis

Als Isar Aerospace 2018 an den Start ging, hatte jeder Elektrotechniker im Unternehmen Erfahrungen mit einem anderen ECAD-Programm gesammelt. Das Team stellte deshalb die unterschiedlichen Lösungen auf den Prüfstand und evaluierte Leistungsumfang und Kosten. Am Ende des Auswahlverfahrens kamen drei Anwendungen in die engere Auswahl – ausschlaggebend für WSCAD waren Funktionalität und Anschaffungspreis. Weil Zeit für jedes Start-up ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, musste auch die Einführung der ECAD-Plattform so schnell und effizient wie möglich erfolgen. Isar Aerospace absolvierte eine modifizierte Fünftagesschulung, an der alle Elektrotechniker und auch die SPS-Planer und -Programmierer teilnahmen. Abweichend von den üblichen Schulungen wurden dabei viele Standardschaltungen gleich mit angelegt und als Teilschaltungen in Form von Makros gespeichert. So passten z.B. für die SPSen die in WSCAD hinterlegten Artikeldaten des von Isar Aerospace bevorzugten SPS-Herstellers nicht exakt zu den Anforderungen des Unternehmens. Sie wurden im Rahmen der Schulung unkompliziert geändert und als neue Artikeldaten und Makros für die künftige schnelle Verwendung gespeichert. Die Schulung mit ihrem abgestimmten Mix aus Theorie und Praxis hat geholfen, die vielen Funktionen von WSCAD vom Start weg zu nutzen. „Unsere Lernkurve war enorm. Wir konnten bereits nach kurzer Zeit selbstständig und hocheffektiv mit der Software von WSCAD arbeiten“, bestätigt Elektrokonstrukteur Rötzer. In der Folge baut Isar Aerospace die Elektrotechnik aktuell kräftig aus und sucht neue Mitarbeitende. Es warten Jobs in einem sehr spannenden Technikumfeld, in dem man viel mitbekommt – von der allerersten Planung, den Vorgesprächen mit den Ingenieuren über die Konstruktion und den anschließenden Aufbau bis zur Inbetriebnahme.

Bild 4 | Die Schaltschränke sind Bestandteil der Teststände - beispielsweise für Komponententests wie hier am Standort Reischach.
Bild 4 | Die Schaltschränke sind Bestandteil der Teststände – beispielsweise für Komponententests wie hier am Standort Reischach.Bild: © Isar Aerospace

Nachgehakt bei Axel Zein

Schaltschrankbau klingt im ersten Moment nicht nach Rocket Science. Die Anwendung bei Isar Aerospace belegt das Gegenteil. Inwieweit bildet die moderne Elektrokonstruktion das Fundament für solche Hightech-Branchen, Herr Dr. Zein?

Axel Zein: Zur Ausstattung einer jeden Hightech-Unternehmung gehören Testequipment und Teststände. Dort sind immer Elektrotechnik und Schaltschränke im Einsatz. Die Elektroplanung und der Schaltschrankbau sind demnach grundlegender Bestandteil jeder Raketenwissenschaft. Entscheidend ist, dass diese Basisarbeit effizient und fehlerfrei vonstattengeht – damit wie im Fall Isar Aerospace tatsächlich eine Rakete ihren Weg in den Orbit findet und es keine Zwischenfälle gibt.

Welche Funktionen und Technologien sind dabei aus Ihrer Sicht entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der Anwender?

Zein: Jede Technologie muss beherrschbar bleiben, nur dann kann man mit ihr produktiv arbeiten. Wir geben mit unserer ECAD-Lösung Anwendern ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie ihren Job – in diesem Fall die Elektroplanung und den Schaltschrankaufbau – möglichst einfach und schnell machen können. So finden die Ingenieure dann die Zeit, um das zu erledigen, was Menschen nun einmal besser können, als Maschinen: innovativ sein.

Wie stark müssen Sie als ECAD-Anbieter auf die speziellen Anforderungen von Hightech-Branchen wie der Luft- und Raumfahrt eingehen? Wie stellen Sie bei WSCAD eine solche Nähe zum Anwender sicher?

Zein: Auch wenn Elektroplan und Schaltschrankaufbau grundsätzlich denselben Anforderungen folgen, müssen wir in speziellen Fällen natürlich individuell auf die Anwender eingehen. Als junges Unternehmen steht Isar Aerospace unter Zeit- und Erfolgsdruck, von Tag eins an musste das Team produktiv arbeiten. Das war der Grund, warum man sich ein ECAD System gekauft hat – man will eine Vielzahl von Aufgaben schnell und zuverlässig erledigen. Unser Service mit individuellen Vor-Ort-Einweisungen und Go-Life-Szenarien kam da gerade recht.

Dr. Axel Zein ist Geschäftsführer bei WSCAD

WSCAD GmbH

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